
Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2025. Der Traum vom Weltraum und dessen Erforschung – oder Eroberung? – ist wohl genauso alt wie der vom Fliegen. Immer schon hat der Mensch seinen Blick auf den Nachthimmel gerichtet und sich gefragt, was da oben, da draußen wohl sein mag. Gestaunt, sich gewundert und sich nach den Sternen orientiert. Gernot Grömer hat schon als Jugendlicher damit begonnen, nach den Sternen zu greifen. Zunächst mit einem Feldstecher, den er zum 14. Geburtstag bekommen hat. Dabei hat Grömer beobachtet, dass alles am Nachthimmel eine gewisse Systematik hat. „Das hat mich damals ungeheuer fasziniert“, sagt er. Also lag es nahe, Astronomie und Astrophysik zu studieren. Genau das tat der in Linz geborene Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikator in Innsbruck.
Das neue Jahrtausend ist noch jung, als die US-amerikanische Mars Society 2002 Crewmitglieder für eine Mars-Simulation in Utah sucht. Gernot Grömer bewirbt sich – und bekommt den Job. „Es war eine sechsköpfige Crew, für die es weltweit 400 Bewerber*innen gab“, erinnert er sich. Gesucht wurde ein Astrophysiker mit notfallmedizinischem Background. Bingo! Grömer, der über viele Jahre lang im Rettungswesen als Notfallsanitäter engagiert ist, wird ausgewählt. Er ist damals der einzige Europäer in der Crew.
Der Beginn einer langen Reise
Diese Mars-Missions-Simulation in den USA ist der Auftakt zu Gernot Grömers außergewöhnlicher Weltraumkarriere, die hier auf der Erde stattfindet. Grömer ist sogenannter Analogastronaut. So nennt man die Personen, die auf der Erde an Simulationen teilnehmen, um zukünftige Weltraummissionen vorzubereiten. Sie führen wissenschaftliche Forschung, Tests und technische Erprobungen durch, die für bemannte Flüge zum Mond, Mars oder anderen Himmelskörpern unabdingbar sind, und simulieren dabei die Bedingungen wie Isolation, technische Herausforderungen und das Leben in einer fremden, unwirtlichen Umgebung. Als Leiter des Österreichischen Weltraum Forums (ÖWF) ist Gernot Grömer ein Veteran, der bereits 15 Missionen hinter sich hat. Heute hat er den Raumanzug ein Stück weit gegen administrative Tätigkeiten eingetauscht. „Ich bin noch aktiv, aber nicht mehr so viel im Feld wie früher und möchte auch den jungen Kolleg*innen die Chance geben, Erfahrung zu sammeln“, sagt er. Erst Ende Oktober hat Grömer mit dem ÖWF die weltweit größte Analogmission geleitet: 70 Forscherinnen und Forscher simulieren dabei in 16 Habitaten auf fünf Kontinenten das Leben und Arbeiten auf Mond und Mars.
Die Faszination des Unvorstellbaren
„Dort oben im Weltraum finden Prozesse statt, die uns an die Grenze unseres menschlichen Vorstellungsvermögens bringen – von den Größenordnungen, den Zeitskalen und physikalischen Rahmenbedingungen her“, sagt der Wissenschaftler. Wo ist die Grenze des Universums? Wie funktioniert ein Stern? Warum leuchtet die Sonne? Diese und zahllose andere fundamentale Fragen üben bis heute eine ungebrochene Faszination auf den Analogastronauten aus. Grömer will dazu beitragen, sie zu beantworten. „Fast jeder von uns kennt vermutlich diese Augenblicke, in denen man sich fragt, was da draußen wohl sein mag.“ Das ist gut möglich, aber nur die wenigsten haben den Antrieb, es auch genauer wissen zu wollen. Gernot Grömer ist einer von ihnen. Mehr über das, was da draußen vor sich geht, zu erfahren, ist eine Energie- und Motivationsquelle für ihn.
Mensch und Maschine
Als Analogastronaut arbeitet er mit Menschen, die sehr viel Expertise in ihren jeweiligen Materien haben. Er bekommt außerdem Zugang zu neuen technologischen Entwicklungen. „Das ist wie eine Art Sneak-Preview auf die Zukunft“, sagt er. Für technikaffine Menschen ist die Arbeit mit experimentellen Prototypen natürlich ein Haupttreffer. Aber nicht alles erinnert an Science-Fiction. „Wir kochen auch nur mit Wasser. Bei unseren Missionen geht es auch um die Optimierung von Prozessen und darum, wie Abläufe gestaltet werden können“, sagt Grömer.
Die Hürden, mit denen der Mensch in der Raumfahrt konfrontiert ist, sind jedoch nicht nur technologischer Natur. Längere Raumflüge auf beengtem Raum sind psychologisch enorm fordernd. „Die Technik kann man so konstruieren, dass sie den herrschenden Umweltbedingungen standhält. Bei den Menschen sind dagegen die Voraussetzungen evolutionär bedingt gegeben. Daran kann man nicht viel ändern. Deshalb muss sehr auf die Auswahl der richtigen Crews geachtet werden. Die Crewmitglieder müssen gut begleitet und betreut werden.“ Das gilt für die Analogmissionen genauso wie für die tatsächliche Raumfahrt. Deshalb sind bei Missionen auch Psycholog*innen dabei, die genau darauf achten, wie sich Isolation und Stress auf die Psyche auswirken. „Wir sind keine Roboter“, sagt Grömer, der sich dennoch – oder gerade deshalb – optimistisch zeigt, was die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Menschen betrifft. „Wir haben nach wie vor kein vollständiges Verständnis davon, wozu der Mensch in der Lage ist.“ Grömer ist überzeugt, dass sich der Mensch selbst an die schwierigsten Bedingungen anpassen und dabei gewissermaßen über sich hinauswachsen kann. Warum sollte man die gefährliche Arbeit im Weltall bei künftigen Mars- oder Mondmissionen dennoch nicht den Robotern überlassen? „Eine Gesteinsprobe am Mars kann theoretisch auch ein Roboter nehmen. Ein Geologe vor Ort hat allerdings ganz andere Möglichkeiten, kann viel flexibler reagieren und seinem Wissen und seiner Intuition folgen.“
Grömer bezeichnet die Debatte „Mensch oder Maschine?“ als überholt. Die Losung heißt heute: „Send them both.“ Roboter sollten langwierige, besonders gefährliche und repetitive Tätigkeiten machen, damit für den menschlichen Geist Spielraum bleibt und sich dieser auf das Kreative und Spontane konzentrieren kann. „Dieses Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine testen wir bei unseren Missionen auf der Erde intensiv“, sagt er.
Neue Perspektiven
Die Missionen der Analogastronauten finden oft an abgelegenen Orten auf der Erde statt und sind bis ins kleinste Detail durchgeplant. Dennoch bleibt Raum für Überraschungen. „Es gibt auf jeder Mission unerwartete Ereignisse, mit denen niemand gerechnet hat. Risikobehaftete Erlebnisse ebenso wie beeindruckende Dinge, bei denen einem die Kinnlade herunterfällt. Es gibt Ereignisse, die von den Missionsteilnehmer*innen mit viel Pathos verspürt werden“, erzählt er.
Bei seiner ersten Mission in Utah hatte Grömer das „unglaubliche Gefühl, ein Bad mitten in den Sternen zu nehmen“. Das rührt daher, dass der Nachthimmel in den Raum-
anzug projiziert wird, um für mehr Weltraumrealismus zu sorgen. Das Gefühl, über längere Zeit in einem solchen Anzug zu stecken, beschreibt Grömer so: „Man fühlt sich wie die Schildkröte in ihrem Panzer.“ Sicher und verwundbar zugleich. „Es gibt Augenblicke, in denen man den viszeralen Konnex zwischen dem Selbst und dem, was da draußen ist, unmittelbar spürt“, sagt Grömer, der in diesen Momenten nicht nur rational weiß, sondern auch fühlt, dass der Mensch und die Erde Teil eines großen Ganzen sind. Teil des Weltalls. Die Menschheit ist dabei völlig unbedeutend und besonders zugleich. Das hat der amerikanische Astronom und Astrophysiker Carl Sagan einmal so formuliert: „We are just an advanced breed of monkeys on a minor planet of a very average star. But we can understand the Universe. That makes us something very special.“
Gernot Grömer will zum Verständnis des Universums beitragen. Seine Missionen haben ihn und seinen Blick auf die Welt verändert. Bei alldem ist es eine „ganz wichtige Qualität, das Staunen nicht zu verlernen.“ Eine Qualität, die kultiviert werden will, auch deshalb, weil sie eng mit der Neugierde verbunden ist. Sie ist die Grundlage für den Pioniergeist, der die Menschheit immer schon vorangebracht hat.
Wertvolle Fehler
Natürlich lässt sich auf der Erde nicht alles simulieren, was im Weltraum auf Astronauten zukommen kann. „Es gibt keine perfekte Analoglandschaft“, hält Grömer fest. Man muss die unterschiedlichen Testumgebungen als Puzzlestücke begreifen, die zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden können. Manches wird in einer Vakuumkammer getestet, zur Simulation der Schwerelosigkeit dienen Parabelflüge. Analogmissionen haben gar nicht den Anspruch, alles perfekt simulieren zu können. Das wäre vermessen. „Analogforschung hilft uns dabei, Abläufe zu strukturieren, so dass effektiv und sicher gearbeitet werden kann. Wir können das Material dabei ebenso wie den Faktor Mensch testen und so viele Dinge im Vorfeld herausfinden, die bei einer Marsmission problematisch wären, wenn man sich ihrer nicht bewusst wäre.“ Dementsprechend ist jeder Fehler, der bei Analogmissionen gemacht wird, wertvoll, weil er mit Methoden behoben – oder verhindert – werden kann, die im Weltraum ebenfalls zur Verfügung stehen. „Fail fast, fail cheap, have a steep learning curve“, bringt Grömer das Mindset auf eine Formel. Analogforschung wird auch nach erfolgreichen Weltraummissionen auf Jahrzehnte hin nicht überflüssig sein, ist der Wissenschaftler überzeugt. „Sie bleibt die kosteneffizienteste Möglichkeit, Probleme zu entdecken.“
Warum ausgerechnet der Mars im Fokus der Analog-Weltraum-Community steht, erklärt Grömer unter anderem damit, dass der Rote Planet im Unterschied zum Mond deutlich erdähnlicher ist. Ginge es nach Elon Musk, wäre der Mensch übrigens bereits am Mars gewesen. Ob das schrankenloser Optimismus oder Marketing ist, sei dahingestellt. Gernot Grömer meint, „dass die Technologie dafür fast in Griffweite“ ist und auch die Kosten vertretbar. „In den nächsten 20 Jahren ist aus heutiger Sicht eine Marsmission realistisch“, sagt er. Die Menschen, die diese Reise zum Mars einmal antreten werden, sind nach dieser Lesart also bereits geboren. „Diese Crew gibt es schon. Sie weiß es nur noch nicht“, sagt Grömer. Ein spannender Gedanke.
Als Analogastronaut ist man Forscher und Forschungsgegenstand zugleich. „Man erfährt dadurch Dinge über sich selbst, die einem zuvor nicht bewusst waren“, sagt Grömer, der zu schätzen gelernt hat, dass es alles andere als selbstverständlich ist, auf einem Planeten zu leben, auf dem es Wasser und eine humose Bodenschicht gibt. „Seitdem beschwere ich mich nicht mehr über das Wetter.“ Seine Erfahrungen haben ihn reflektierter und sorgfältiger gemacht. „Ich denke die Dinge mehr zu Ende als früher,“ sagt er.
Das All geht uns alle an
Österreich ist als kleines Land in der Raumfahrt – analog wie real – international gut vertreten. Einen Wunsch äußert Grömer dennoch: „Was wir in Österreich brauchen würden, wäre eine deutlich stärkere Unterstützung vom Innovationsministerium.“ Grömer ortet in Österreichs Weltraumpolitik einiges an Diskussionsbedarf. „Der Weltraum geht uns alle an, der Weltraum ist für alle da und sollte dementsprechend auch von allen betrieben werden.“ Den Skeptikern, die argumentieren, man möge sich doch zunächst um die irdischen Probleme kümmern, hält Grömer entgegen: „Wir verwenden jeden Tag ein Dutzend Weltraumtechnologien, ohne das bewusst wahrzunehmen.“ Als Beispiele seien hier nur GPS oder der Wetterbericht genannt. „Die Weltraumforschung kreiert Technologien, die letztlich wieder hier auf der Erde zum Einsatz kommen.“ Das ist doch ein gutes Argument. Außerdem ist der Mensch ein Wesen, das über das Bekannte hinaus neugierig ist und über den Tellerrand hinausschauen möchte. Sonst wären wir wohl noch in der Steinzeit. „Mehr wissen zu wollen ist für die menschliche Spezies immer ein Erfolgsrezept gewesen“, sagt Grömer.
Für ihn ist der Mond der siebte Kontinent und der Mars wohl ein lohnenswerter Nachbarplanet, der allemal eine Reise wert ist. „Schon unsere Kindeskinder werden damit aufwachsen, dass sie, wenn sie zum Mond hinaufblicken, dort Lichtpünktchen sehen werden.“ Eine Mondkolonie, ein Sprungbrett an der Schwelle zum Universum. Mit dem Österreichischen Weltraum Forum wird Analogastronaut Gernot Grömer dazu beitragen, dass seine Prognose eintrifft. So wie damals die Menschen in den 1960ern bei der Mondlandung mitgefiebert haben, will er sich die erste bemannte Marslandung irgendwann als Pensionist im Fernsehen ansehen. Und dabei seinen Enkeln von seinem persönlichen Beitrag dazu erzählen.
Text: Marian Kröll
Fotos: Photo Voggeneder

