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Industriegeschichte

2.7.2021

Schon lange vor der Industrialisierung war es die Wasserkraft, die in der Wirtschaftsgeschichte Tirols eine wichtige Rolle gespielt hat und neben der Entdeckung und Nutzung von Salz und Erz eine erste unternehmerische Richtung vorgab. Fließgewässer wurden genutzt, um Mühlen und Maschinen anzutreiben oder um Waren zu transportieren. Seit vielen Jahrhunderten ist die Wasserkraft von zentraler Bedeutung für die gewerbliche und industrielle Entwicklung Tirols. Die Standortwahl energieintensiver Betriebe hing direkt mit der Verfügbarkeit der Wasserkraft zusammen und es kommt nicht von ungefähr, dass viele Industriebetriebe nah am Wasser gebaut sind. Das von Daniel Swarovski 1895 in Wattens gegründete Kristallunternehmen etwa oder die 1921 von Paul Schwarzkopf in Reutte gegründeten Metallwerke Plansee. 

Neben der Wasserkraft waren es auch die reichlich vorhandenen Arbeitskräfte, die das Entstehen von Unternehmen begünstigten. Bauernfamilien hatten in der Regel zahlreiche Kinder, von denen der älteste den Hof übernahm, während die Geschwister sich nach Alternativen umsehen mussten. Die Geschichte der Industrialisierung Tirols indes ist nicht wirklich weitreichend erforscht. Wann die Industrialisierung hierzulande tatsächlich einsetzte, ist fürderhin gar nicht so einfach zu beantworten. 


Von Bergen und Textilien

Bereits im Spätmittelalter nutzte man die Reichtümer des Berges, Salz und Erz. Der Bergbau und die Verarbeitung der derart gewonnenen Mineralien setzte ein. Anfang des 16. Jahrhunderts waren allein im Schwazer Bergbau rund 15.000 Bergleute beschäftigt. Erst viel später begriff man diese Tätigkeit als „industriell“. Als zweites Standbein industrieller Entwicklung tat sich die Textil- und Bekleidungsindustrie in Form so genannter Manufakturen hervor – entsprungen aus einer bereits im 15. Jahrhundert begründeten „Heimindustrie“. Die in Imst gegründete „Anton Strelische Leinwand- und Cottonfabrik“ beschäftigte beispielsweise schon 1756 neben „Hunderten“ von Webern, Färbern und Druckern zusätzlich 5.000 in Heimarbeit werkende Spinner – und dies nur im Tiroler Oberinntal, wie die Industriellenvereinigung Tirol beschreibt. Auch im Tiroler Unterland kennen wir Industriegeschichten wie jene der „Schwazer Tabakfabrik“, die in den Blütejahren 1.200 Menschen Arbeit gab. Frühe Bedeutung hatte als Folge des Bergbaues auch die Metallverarbeitung. Dennoch verlief die industrielle Entwicklung hierzulande schleppend und verzögert.

Als die Industrialisierung im England des 18. Jahrhunderts begann, steckte man hierzulande noch in einer Art Vorform dessen, was wir heute landläufig als Industrie verstehen. Erst mit Ende des 19. Jahrhunderts lässt sich auch in unseren Breiten ernsthaft davon sprechen. „Meilensteine der Entwicklung der Industrie waren sicher die ab 1860 bestehende Gewerbefreiheit oder die technischen Möglichkeiten zur Umsetzung von Wasserkraft in elektrische Energie. Man darf aber nicht annehmen, dass nicht schon vorher industrieähnliche Betriebe existiert hätten, man denke nur an die Glockengießerei Grassmayr oder die zahlreichen Textilfabriken, die man ‚Manufaktur‘ nannte und in der Wissenschaft als ‚Frühindustrie‘ oder ‚Protoindustrie‘ bezeichnet. Die Übergänge sind zwar fließend, aber die Gewerbefreiheit hat die Entwicklung sicher beschleunigt. Allerdings in Tirol erst ab den 1880er-Jahren“, erklärt der Innsbrucker Historiker Gerhard Siegl. Neben Swarovski waren die Zellulosefabrik in Wörgl, die Teigwarenfabrik Josef Recheis oder die Zementfabrik Schretter in Vils die wohl wichtigsten Gründungen vor der Jahrhundertwende. 

Nach dem Ende der Monarchie 1918 folgten zwei schwierige Jahrzehnte für die industrielle Entwicklung. Über den industriellen „Aufschwung“ während der NS-Zeit wurde bereits mehrfach geschrieben, er stand freilich im Kontext der Kriegskonjunktur aber auch davon hat die Tiroler Industrie letzten Endes profitiert und nicht nur bauliche Einrichtungen, sondern auch unternehmerische Impulse haben in die Nachkriegszeit ausgestrahlt. Nach 1945 profitierte die Industrie vom so genannten Marshallplan – einem amerikanischen Wirtschaftsförderungsprogramm für den Wiederaufbau der Staaten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg –, wirtschaftsmäßig wurde das Land jedoch ab den 1960er-Jahren zunehmend von der Entwicklung des Tourismus getrieben. Schon früh überholte der Dienstleistungsbereich und dabei vor allem das Gast- und Beherbergungsgewerbe den Industriesektor als Arbeitgeber, wodurch Tirol die Industrialisierung quasi „übersprang“. Von Phasen der Deindustrialisierung zu sprechen, ist in Tirol folglich schon deshalb schwierig, weil die Industrialisierung insgesamt nicht so stark entwickelt war. 

Die historische Entfaltung der Industrie in Tirol gehemmt hat neben der natürlichen Rohstoffarmut unter anderem die starke Orientierung des Landes hin zum Fern(Transit-)Verkehr auf der Nord-Süd-Achse. Außerdem gab es in Tirol selbst kaum größere Städte und damit Märkte für die Konsumgüterindustrie. Deshalb ist unter anderem die Exportorientierung so hoch, weil der Binnenmarkt bei weitem nicht ausreicht, um die erzeugten Produkte abzusetzen. Allerdings darf die Industrie als Produktionsfaktor und Arbeitgeber nicht unterschätzt werden. Und erst recht nicht, was die dort erzielte Wertschöpfung anbelangt. Das gilt bis heute.

Text: Marina Bernardi

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