Der Begriff Nachhaltigkeit stammt, wie inzwischen sattsam bekannt sein dürfte, aus der Forstwirtschaft. Dort war das Streben nach Nachhaltigkeit ursprünglich allerdings weniger altruistischen und ökologischen Motiven geschuldet als der schlichten Notwendigkeit, dass die Wälder ihre Produktivität behalten mussten. Nachhaltiges Wirtschaften war ökonomisch nicht nur sinnvoll, sondern längerfristig sogar unabdingbar.
Heute durchdringt das Streben nach Nachhaltigkeit alle gesellschaftlichen Diskurse. Oft bleibt das Reden darüber im Ungefähren, mitunter durchaus beabsichtigt. Mit dem Schwadronieren von Nachhaltigkeit hängt man sich vor allem aufseiten der Wirtschaft gerne ein grünes Mäntelchen um und bei näherem Hinsehen ist nicht alles grün, was ein wenig schimmert. Gerade die Bauwirtschaft hat in diesem Bereich noch die eine oder andere Baustelle. Nachhaltige Gebäude sind gekennzeichnet von einer ökologisch nachhaltigen Optimierung in den Bereichen Ressourcen, Energie, Wasser und Abwasser, wobei das gleichbedeutend mit der Reduzierung des Einsatzes natürlicher Ressourcen ist.
Betonbetont
Seit der Klimaschutz auf der politischen Agenda weit nach oben gerückt ist, ist die Bauwirtschaft vor allem als CO2-Emittent in den Fokus geraten. Die „Schuld“ daran trägt hauptsächlich der Beton. Vor allem der Zement, im Beton als Bindemittel für Kies und Sand vorhanden, schlägt in seiner Herstellung negativ zu Buche. Auf sein Konto gehen mehr als 80 Prozent der CO2-Emissionen des Betons. Pauschal als Klimakiller verteufeln sollte man den Baustoff aber nicht, denn bei näherer Betrachtung ergibt sich ein differenzierteres Bild.
Die Herstellung von Zement ist in Österreich für 3,3 Prozent der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich, und laut dem Interessenverband Beton Dialog Österreich (BDÖ) – ein Zusammenschluss von Verbänden der Zementindustrie, der Beton- und Fertigteilwerke sowie der Transportbetonwerke – verfolgt man das Ziel, die Herstellung bis 2050 CO2-neutral zu machen. Betonenthusiast*innen, und die gibt es, wie ein Blick auf die gebaute Umgebung deutlich macht, hierzulande zuhauf, appellieren für eine Betrachtung des Baustoffs über dessen gesamten Lebenszyklus. Beton punkte, wird argumentiert, in dieser Hinsicht mit seiner langen Lebensdauer und hohen thermischen Masse. Bei Bauwerken wie Brücken, Tunnels, stark frequentierten Straßen oder besonders hohen Gebäuden führt am Beton bis heute kein Weg vorbei. Eine Staumauer aus Holz würde den Bewohner*innen in den Dörfern flussabwärts wohl kein besonders sicheres Gefühl vermitteln. Im Gegensatz zum Holz beißt sich der Biber am Beton die Zähne aus. Beton ist zumindest nicht schlechter als sein Ruf, für manche insbesondere größere Bauaufgabe ist er aus heutiger Sicht so gut wie alternativlos. Was dessen Auswirkungen auf die Umwelt betrifft, kann er mit vielen anderen Baustoffen nicht mithalten.
Ursprünglich rührt der Begriff Beton vom altfranzösischen „betun“ her und bedeutet Mörtel. Erstmals wird er in einem Architekturbuch aus dem 18. Jahrhundert erwähnt. Den Baustoff gibt es in etwas anderer Zusammensetzung jedoch schon bedeutend länger. So haben bereits die Römer mithilfe eines Gemischs aus Stein und Sand gebaut. Der Beton der alten Römer – Opus caementitium geheißen – erwies sich sogar als beständiger als sein moderner Nachfolger. Das lag, wie die Wissenschaft mittlerweile herausgefunden hat, vor allem an den Vulkanaschen, welche die Römer ihrem Beton beimengten. Im Gegensatz zum heutigen Beton waren chemische Veränderungen des Betons nach dessen Einbau bei den alten Römern nämlich erwünscht. Bauten wie das Pantheon oder das Kolosseum in Rom haben jedenfalls vor der Zeit bestanden und eindrucksvoll gezeigt, was der Urahn unseres heutigen stahlbewehrten Betons zu leisten vermag. An diesem scheiden sich die Geister.
Brutalistische Massenkonstruktionswaffe
Nicht jeder findet am großflächigen Einsatz von Beton gefallen. Das hat mitunter nicht nur ökologische Gründe, sondern auch ästhetische. Der deutsche Philosoph und Ästhetikprofessor Anselm Jappe hat sich in Buchform an diesem Material, genauer gesagt am Stahlbeton, abgearbeitet. „BETON-Massenkonstruktionswaffe des Kapitalismus“ heißt sein Buch, als dessen Ausgangspunkt das folgenschwere Versagen der Morandi-Brücke in Genua dient. Als am 14. August 2018 der westliche der drei Pylone mit einem etwa 250 Meter langen Teilstück der Fahrbahn einstürzt, verlieren 43 Menschen ihr Leben. „Und wenn die in ihrem Wesen eingeschriebene Zerrüttung, ihre Schwäche, ihr Zerfall nicht nur das sichtbare Merkmal dieser Bauwerke sind, sondern auch eine Folge des Zerfalls und der Auflösung der Gesellschaft, die diese hervorgebracht hat?“, fragt der Philosoph in der Einleitung.
Nun könnte man einwenden, ob es denn nicht auch eine Nummer kleiner ginge, zumal sich der unmittelbare Zusammenhang zwischen den Ver- und Zerfallserscheinungen der Gesellschaft und jenen des Baustoffs Stahlbeton nicht unbedingt aufdrängt. Doch damit nicht genug. Jappe läuft sich erst warm, wenn er Diagnosen wie die folgende stellt: „Die Schrecken der heutigen Architektur und der modernen Bauten sind die Folge der Kombination von Beton und Stahl.“ Bumm!
Stahlbeton, von dem selbst die alten Römer noch nichts gewusst haben und der erst mit der Industrialisierung aufgekommen war, ist tatsächlich allgegenwärtig geworden und aus den meisten unserer Infrastrukturen nicht wegzudenken. „Nicht der Beton als solcher, der hauptsächlich im 18. Jahrhundert wiederentdeckt wurde, hat die Welt verändert, sondern der Stahlbeton, der auf Stahl-‚Bewehrungen‘ gegossen wurde,“ hält Jappe in einem Interview fest. Das ebenso bewehrte wie bewährte Material hat seinen eigentlichen Siegeszug erst nach 1945 begonnen. „Die größten Mengen wurden nicht für Wohnungen und öffentliche Gebäude verwendet, sondern in der Infrastruktur: Autobahnen, Parkplätze, Flughäfen, Deiche, Atomkraftwerke und – am wichtigsten – Staudämme.” Auch auf die Frage, was denn das Erfolgsrezept des Stahlbetons sei, weiß der Philosoph eine Antwort: „Zunächst einmal, weil Beton wirklich nicht viel kostet: Seine Bestandteile sind in der Natur leicht zu finden, und das Bauen mit Beton erfordert nur wenig qualifizierte Arbeitskräfte. Die spezielleren Fähigkeiten und die Planung sind bei Architekten und Ingenieuren mit ihren Diplomen konzentriert, was mit der zentralen Rolle übereinstimmt, die Technokraten und Experten erworben haben, die vom Staat beauftragt und dem Markt unterworfen sind, aber keine Verbindung zu den Bewohnern und ihren Bedürfnissen haben.” Im selben Atemzug attestiert Jappe der europäischen Nachkriegszeit eine ausgeprägte „Betonitis“, die vom Rest der Welt nachgeahmt worden sei und dazu geführt habe, dass „die Neubauviertel von Shanghai oder São Paulo, Paris oder Riad sich nicht mehr voneinander unterscheiden, und ihre Armenviertel auch nicht“. Der Rückgriff auf Stahlbeton führt also, interpretiert man den Philosophen richtig, zu einem Identitätsverlust und zu globaler Gleichförmigkeit, zur Standardisierung und Uniformierung.
Ob Architekt*innen das genauso sehen wie der Ästhetikprofessor, darf bezweifelt werden, gehört der großzügige Einsatz von Stahlbeton an allen möglichen und unmöglichen Orten – oft auch in Sichtqualität – doch seit langer Zeit zu den Liebkindern der modernen Architektur. Immerhin ist Sichtbeton ehrlicher als ein verschämt lärchenholzverschalter Beton-Baukörper. Der Stahlbeton wird uns weiterhin begleiten und weiterhin eine im Wortsinn tragende Rolle in den Infrastrukturen spielen, die unser heutiges, schnelllebiges Leben erst ermöglichen. Der Zahn der Zeit nagt stärker am Stahlbeton als an seinem römischen Pendant. Das wird ab heuer zum Beispiel anhand der sechs Jahre dauernden, höchst notwendigen Generalsanierung der Luegbrücke an der Brennerautobahn für die Tiroler Bevölkerung spürbar werden. Stahlbeton wird außerdem noch bedeutend umweltverträglicher in seiner Herstellung und besser in seiner Wiederverwertung werden müssen. Insgesamt gilt jedoch, dass beim Beton weniger in Zukunft mehr ist. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Beton in der unabsichtlichen Schaffung städtischer Hitzeinseln nicht unbeteiligt ist und mittlerweile sogar so etwas wie eine globale Sandknappheit herrscht.
Naturnäher bauen
Es ist also aus unterschiedlichen Gründen geboten, sich für viele Bauaufgaben nach naturnäheren Alternativen umzusehen. Hier ist auch die öffentliche Hand gefragt, ein tragfähiges Regelwerk für Alternativen zum Gewohnten zu schaffen. Es darf mittlerweile als bewiesen gelten, dass der moderne Holzbau auch bei mehrgeschossigen Objekten gute Lösungen parat hat. Überhaupt zahlt sich die Rückbesinnung auf die „traditionelle“, „volkstümliche“ Architektur aus. Anselm Jappe hat deren zahlreiche Vorteile hervorragend begründet: „Bau durch die Bewohner selbst oder durch lokale Teams, die über wenig Technologie, aber über ein bemerkenswertes Know-how verfügten; Verwendung lokal verfügbarer Materialien; Anpassung an die klimatischen Bedingungen des Ortes; in der Regel sehr lange Lebensdauer; recht geringe ökologische Auswirkungen; Kombination von materiellen, sozialen und symbolischen Kriterien; große Bandbreite an Nuancen auch innerhalb desselben Dorfes. Traditionelle Architektur ist nicht ‚primitiv‘, sondern weist oftmals hervorragende technische Lösungen auf, die das Ergebnis von Erfahrung sind, z. B. in Bezug auf Wärmedämmung. Sie variieren von Region zu Region und tragen so zur Vielfalt der Welt, zu ihrem Reichtum, zur Fähigkeit, die örtlichen Gegebenheiten zu nutzen, bei und sind insgesamt eines der wichtigsten Zeugnisse des menschlichen Genies. Die Entwertung oder gar Zerstörung dieses Erbes, um es durch Gebäude aus Stahlbeton oder Hohlblocksteinen zu ersetzen, die an ein und demselben Ort hunderte Male identisch wiederholt werden, wird zweifellos eines Tages als eine der größten Torheiten des kapitalistischen und industriellen Zeitalters (das damit nicht geizt!) erscheinen.“
Bauen mit Rück- und Weitsicht ist gefragt. Oder mit Holz und Hanf. Ein Um- und vor allem Weiterdenken stünden der Wirtschaft allgemein und der Bauwirtschaft im Speziellen gut an, weg von Le Corbusiers Wohnmaschine und hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die den Menschen und seine gebaute Umwelt stärker in einen Bezug zur Natur setzt.
Text: Marian Kröll