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Zukunft

Unsichtbare Macht

27.2.2023

Wie Kreativität funktioniert, zeigt Mutter Erde, die in 150 Millionen Jahren und in einem unvergleichlichen Prozess die Kriterien dafür vorgelegt hat: Mutation, Variabilität und Selektion. Vor allem die Variabilität macht den Unterschied. Wenn viel Verschiedenes zusammenkommt, kann leichter etwas Neues entstehen. Das Bestehende wird durch äußere Einflüsse verändert. Dinge, die scheinbar nicht zusammengehören, werden neu verkettet.
 
Im Mikrokosmos des Menschen spielt sich Kreativität genau betrachtet im Gehirn ab: Unsere Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gefühle oder Bewegungen, unser Denken, Handeln, Wollen oder Entscheiden, alles, was mit unserem Bewusstsein zu tun hat, jegliche Form der Kreativität wird durch spezifische neuronale Prozesse im Gehirn ermöglicht. Dies bedeutet, dass 10.000 Nervenzellen von einer Nervenzelle beeinflusst werden können und umgekehrt. Diese genetisch vorgegebenen Verbindungen werden aber erst wirksam, wenn sie in den ersten Lebensjahren auch tatsächlich genutzt werden. Dazu braucht es den Kontakt mit der Welt – bis ins hohe Alter! Oder anders gesagt: 1. offen sein, 2. neugierig sein, 3. sich vernetzen.
 
Alles grenzoptimiert
 
Ohne Kreativität hätte es die Erde niemals so weit geschafft. Kreativität ist also eine, nein DIE Überlebensstrategie. Sie wirkt von Anbeginn der Zeit: in der Natur, bei den Menschen und demgemäß auch in Organisationen und Unternehmen. Doch gerade dort wird ihre Entfaltung oft gebremst. Statt der Kreativität mehr Raum zu geben, setzen wir vielerorts auf more of the same. Wenn etwas erfolgreich ist, tendieren wir dazu, es zu wiederholen und zu optimieren. Und schon geht’s in Richtung Grenzoptimierung. Mehr geht nicht. Die Folge: Unsere Unternehmen sind oftmals am Anschlag. Stehzeiten werden bis auf ein Minimum reduziert. Immer mehr, immer schneller, mit immer weniger Ressourcen … da ist kaum Platz für kreative Erlaubnisräume, für lustvolles Experimentieren, anders denken und echte Fehlerkultur.
 
Wir benötigen Kreativität aber auch aus einem anderen Grund: Durch die Digitalisierung und Automatisation verschwinden zunehmend jene Tätigkeiten, die wiederholt etwas produzieren. Was für uns Menschen übrigbleiben wird, sind jene Tätigkeiten, im Zuge derer wir das erste Mal etwas erzeugen. Und dafür braucht es gut entwickelte kreative Fähigkeiten. Die Herausforderung besteht also darin, sich strukturell auf eine Zeit vorzubereiten, in der es vornehmlich um Ideen und neue Handlungsweisen geht.
 
Der amerikanische Wissenschafter Mel Rhodes hat bereits 1960 eine bis dato gültige Begriffserklärung für Kreativität gefunden und unterscheidet dabei: 1. die kreative Person, 2. den kreativen Prozess (Vorbereitung, Inkubation, Illumination, Verifizierung), 3. das kreative Produkt und 4. das kreative Umfeld.
 
Das Wichtigste dabei sind der kreative Prozess und das kreative Umfeld: Die Person ist als Kind nämlich grundsätzlich kreativ, verlernt es dann allerdings durch ein sitzengebliebenes Schulsystem, das die Gleichmacherei im Stundentakt pflegt und lehrt, dass es auf jede Frage EINE richtige Antwort gibt. (Suchen Sie für jedes Problem EINE richtige Lösung und Sie werden verzweifeln, suchen Sie aber 20 Lösungen und Sie finden zumindest fünf.).
 
Daher gilt: Kreativ ist zunächst, wer viele Ideen produziert. Das Erlernen des kreativen Prozesses ist deshalb wichtig, weil man damit die Schäden aus Schulsystem und eintöniger Erziehung zumindest teilweise reparieren kann. Das kreative Umfeld ist wesentlich, weil es Ideen fördert und fordert, sie beschützt, vernetzt, weiterträgt, sprich: die Möglichkeitsräume für neue, bessere Lösungen weit aufmacht. Die professionellen Prozessmethoden dafür heißen zum Beispiel Design Thinking, Creative Problem Solving, TrenDNA, TRIZ oder Scrum.
 
Nun werden die Hard-Facts-Liner einwerfen: alles vage, nichts Konkretes. Nur das final nützliche Ergebnis zählt. Aber darum geht es erst mal nicht. In der kreativen Phase gibt es noch nichts Konkretes, Greifbares, Sichtbares – nur Möglichkeitsräume für besseres Denken und neue Ideen. Diese „Unsichtbarkeit“ ist unter anderem auch der Grund, warum Kreative und kreative Prozesse nicht so wertgeschätzt werden. Allein für gutes Denken bekommt man in der Regel noch keine Anerkennung.  Diese Denke muss sich indes schnell ändern, wenn wir all die anstehenden Herausforderungen gut meistern wollen. Die Devise lautet daher: Wer Innovation ernten will, muss Kreativität säen!

Text: Tom Jank

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