Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Das ist in der Tiroler Edelschmiede nicht bloß ein Sprichwort, sondern seit 40 Jahren werktägliche Praxis. Der Waidringer Familienbetrieb wurde 1984 von Hans Schwentner gegründet, seit 2018 trägt dessen Sohn Stefan Schwentner die Verantwortung. Der Seniorchef ist nach wie vor bei Bedarf im Unternehmen anzutreffen, um der nachfolgenden Generation mit seiner langjährigen Erfahrung auszuhelfen. Es ist ein gemäß Eigendefinition ausgeprägter „Sinn für die schönen Dinge im Leben“, der die Design und Schmiede GmbH, wie das Unternehmen offiziell heißt, anspornt.
Das Unternehmen ist in einer Nische tätig und hat deshalb einen großen Aktionsradius, ein Marktgebiet, das sich über Österreich hinaus bis nach Deutschland und Italien erstreckt. Vertriebsmitarbeiter gibt es keine, die meisten Geschäftsanbahnungen kommen auf Basis von Mundpropaganda zustande. Das Geschäft läuft, die Tiroler Edelschmiede dürfte im Ruf stehen, handwerklich wie kreativ gute Arbeit abzuliefern.
Möbelschlosserei mit architektonischem Anspruch
Stefan Schwentner ist Wirtschaftsingenieur mit HTL-Abschluss und Metallbaumeister. Unter seinen zwölf Mitarbeiter*innen gibt es Schmiede, die das Handwerk von der Pike auf gelernt und verinnerlicht haben. Seit Bestehen der Tiroler Edelschmiede wurden dort 16 Männer und eine Frau zu Schmiede- und Metallarbeitergesell*innen ausgebildet. Schon früh hat die Tiroler Edelschmiede ihr Heil in der Spezialisierung gesucht. „Es hat sich schnell herauskristallisiert, dass der ganze Bauchladen, den ein typischer Metallverarbeitungsbetrieb führt, für uns nicht der richtige Zugang war. Deswegen haben wir uns spezialisiert und entwickeln uns mehr und mehr zu einer Möbelschlosserei“, sagt Schwentner, wohlwissend, dass der Begriff so gar nicht existiert. Er beschreibt jedoch gut, was die Tiroler Edelschmiede von anderen Betrieben abhebt. „Wir bauen Möbel – oft in enger Abstimmung mit anderen Handwerksberufen wie Tischlern –, machen Innenraumgestaltung und Innenarchitektur.“
Metallische Oberflächen wirken nicht nur edel, sondern sind es auch. Sie sind in Haptik und Optik unverwechselbar und können in Innenräumen bewusst Akzente setzen, die sich von der Standard-Inneneinrichtung abheben. Der sogenannte Schwarzstahl, dabei handelt es sich um Stahl in seinem natürlichen Zustand, der eine individuelle, schwarzblaue Oberfläche aus Zunder und Abbrand besitzt, ist seit einigen Jahren in Mode. Messing, die im Neuzustand goldgelbe Legierung aus Kupfer und Zink, ist zeitlos. Das Material verändert sich mit der Zeit, setzt eine Patina an. Das ist die natürlich entstehende, schützende Oxidschicht auf unlackiertem Messing, die durch chemische Reaktionen mit Luft und Feuchtigkeit eine Farbveränderung von goldgelb bis dunkelbraun oder grün verursacht. „Die Materialien, mit denen wir arbeiten, müssen wir nicht tot lackieren oder sonst irgendwie schützen“, erklärt der Geschäftsführer. „Sie werden mit der Benutzung schöner. Das gibt es bei keinem anderen Material, höchstens noch bei der Lederhose.“ Natur pur, ohne Lacke, Material, das in Würde – und Schönheit – altern darf. Die Tiroler Edelschmiede arbeitet häufig mit Architekten zusammen, die gewisse Vorstellungen haben. „Unsere wichtigste Schnittstelle zu den Kund*innen sind Innenarchitekt*innen, die das Material verstanden haben.“ In Waidring werden so aus Visionen Werkstücke.
Lust am Experiment
Experimentierfreude gehört von Beginn an zur DNA des Unternehmens, das Metall mit Holz- und Glaselementen verbindet. „Wir haben uns immer schon gerne an Dinge herangewagt, vor denen sich andere gescheut haben. Diese Lust am Experimentieren ist uns erhalten geblieben“, sagt Schwentner. Nachsatz: „Das geht nicht immer gut – aber oft.“
Bei den Factory-Style-Türen ist das Experimentieren gutgegangen. Der Materialmix aus Glas und Stahl mit zahlreichen möglichen Kombinationen verhilft Räumen zu einem leichten und luftigen Erscheinungsbild. „Diese Türen bestehen aus separaten Feldern, die nicht durch Sprossen voneinander getrennt sind, sondern durch einzelne Rahmen. Dadurch sind verschiedene Füllungen möglich, mit unterschiedlichem Glas oder anderen Materialien“, erklärt Schwentner. Der Industrial-Style, den diese an Fabriksgebäude angelehnten Türen ausstrahlen, liegt im Zeitgeist. Eine weitere Produktgruppe der Tiroler Edelschmiede richtet sich vor allem an die Gastronomie, der ihre biertrinkenden Stammgäste etwas wert sind: Bierkrugtresore. Vor allem im bayrischen Raum haben diese ebenso schicken wie stabilen Aufbewahrungsmöglichkeiten für Bierkrüge bereits einige Verbreitung gefunden. „Das ist nicht der große Umsatzbringer, aber ein guter Türöffner hin zur Gastronomie“, sagt Stefan Schwentner. Das Gastgewerbe mit Beherbergung und Gastronomie ist für das Unternehmen wichtig. In der Anfangszeit hat Hans Schwentner mit seinem damaligen Kompagnon Hans Dürnberger vor allem massive Portale gestaltet, die auch heute noch dem markanten Eingangsbereich so mancher Tiroler Hotels ein Gesicht geben. Fürs eigene Zuhause ist so ein metallener Bierkrugtresor freilich kein Must-have. Naturgemäß agiert die Tiroler Edelschmiede in einem Preissegment, das nicht gerade günstig ist. Handwerkskunst kostet Geld. Dafür macht beispielsweise ein geschmiedetes Geländer im Stiegenhaus, das den ansonsten von Altholz dominierten Alpine Chic gelungen kontrastiert, für viele Jahrzehnte etwas her. Abgesehen davon, dass so ein geschmiedeter Einrichtungsgegenstand fast für die Ewigkeit ist und die Lebensdauer der meisten Gebäude weit übersteigt. „Architekten schätzen zudem, dass man bei Metallen mit kleinem Querschnitt sehr hohe Festigkeit erreichen kann.“ So lassen sich beispielsweise Möbel erzeugen, die filigran aussehen, aber doch sehr stabil sind. Die unbehandelten Oberflächen der Schmiedeerzeugnisse wirken organisch und „strahlen eine Wärme aus, die dem Werkstoff Metall oft abgesprochen wird“, weiß Schwentner. Schwarzstahl, Messing und Co. wirken dadurch nicht steril, sondern heimelig-einladend, ja sogar gemütlich. Und mit ihrer im Laufe der Zeit natürlich entstehenden Patina erzählen sie Geschichten. „Wir arbeiten hier mit dem besten Werkstoff der Welt“, kann sich der Geschäftsführer merklich für die heißen Eisen erwärmen.
Straight statt Barock
Bei den Schmiedeerzeugnissen ist heute überwiegend eine straighte Linienführung angesagt. „Dieses Barocke und Verschnörkelte von früher gibt es heute so gut wie gar nicht mehr“, weiß Schwentner, der mit seinem Betrieb auch die uralte Kunst und das Handwerk des Schmiedens am Leben erhält. Daher bildet Schwentner auch ständig Lehrlinge aus und kann sich im Normalfall aus mehreren Bewerbungen die geeignetsten Kandidat*innen aussuchen. Das ist gerade heutzutage keine Selbstverständlichkeit.
Tradition spielt im Schmiedehandwerk eine große Rolle, die technischen Grundfertigkeiten Ziehen, Aufweiten, Stauchen, Stanzen, Spalten, Biegen und Schmiedeschweißen sind über viele Jahrhunderte hindurch gleich geblieben. „Schmieden ist zudem eine ressourcenschonende Technik, bei der im Gegensatz zum Bohren und Fräsen kein Material verloren geht. Beim Schmieden produzieren wir kaum Abfälle“, verweist Schwentner auf den Beitrag zur Nachhaltigkeit. Die Esse wird freilich noch überwiegend mit Schmiedekohle betrieben, auch Gasbetrieb ist möglich.
Noch mehr in die Nische
Für die Zukunft schwebt Stefan Schwentner vor, die Tiroler Edelschmiede noch weiter zu spezialisieren. „Wir wollen Begehrlichkeiten wecken und attraktiv für Mitarbeiter*innen genauso wie Kund*innen sein. Und wir wollen noch mehr in die Nische gehen“, sagt er. Auf Mitarbeiterseite trägt die bereits 2021 eingeführte Viertagewoche zweifellos zur Attraktivität als Arbeitgeber bei. Die Tiroler Edelschmiede ist heute schon gut platziert, wenn es um besondere Schmiedeerzeugnisse geht. Hier, am Fuße der Steinplatte, wird Traditionshandwerk eisern hochgehalten. Mit Hammer, Amboss und Esse. Heißes Handwerk für coole Produkte, könnte man auch sagen. Geht es nach Stefan Schwentner und seinem Team, ist in Waidring weiterhin für Funkenflug gesorgt.
Text und Fotos: Marian Kröll