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Life

Die Kunst des Wohnens

27.9.2024

Clemens Rhomberg ist Inhaber des Einrichtungshauses Kranebitter in Innsbruck und Galerist. Er kennt sich aus mit den ästhetischen Dingen des Lebens und hat die Antworten auf alle Fragen der gehobenen Innenraumverschönerung. Ein Gespräch über Kunst, Einrichten und die Kunst des Einrichtens.

eco.nova: Geht es bei Wohnen mit Kunst vorrangig um bildende Kunst oder kann auch stilvolles Einrichten eine Form von Kunst sein? Geht Wohnen sohin ohne einen künstlerischen Aspekt überhaupt? Clemens Rhomberg: Prinzipiell unterscheidet man in der Kunst zwischen bildender und angewandter Kunst. Bildende Kunst bezieht sich auf Kunstformen, die primär aus einem kreativen, ästhetischen oder konzeptionellen Ausdruck entstehen, wie Malerei oder Bildhauerei. Angewandte Kunst verbindet ästhetische Gestaltung mit einem praktischen Zweck. Auch Design sehe ich als eine Art von angewandter Kunst. Der Design- und Kunstbereich befruchtet sich zusehends gegenseitig. Unterm Strich sind beide Kunstformen – bildende wie angewandte – eng mit Kreativität verwoben, auch wenn sie sich in ihrer Funktion und Zielsetzung unterscheiden. Auch Einrichten hat viel mit Kreativität zu tun, mit Erfahrung, dem Erkennen von Gewohnheiten und Abläufen. So gesehen könnte man das Einrichten an sich durchaus als eine Art der Kunst betrachten, ja.

Wenn Sie privat fremde Wohnräume betreten, nehmen Sie diese völlig wertfrei wahr oder sehen Sie sie mit den Augen des Einrichtungsexperten? Ich befürchte, das ist eine Berufskrankheit, dass ich Räume fast automatisch bewerte. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nicht so häufig eingeladen werde. Ich würde einen Einrichtungsstil allerdings nie kommentieren. Jeder soll so leben und wohnen, wie er möchte. Hin und wieder ertappe ich mich allerdings bei dem Gedanken, dass zum Beispiel ein Vorhang einem Raum durchaus guttäte.

Vorhänge scheinen ein wenig wie Koriander: Man liebt sie oder hasst sie. Täuscht der Eindruck? Gerade bei Vorhängen denken viele, den brauche es nicht. Aber ehrlich: Was BRAUCHEN wir wirklich? Und Vorhänge sind tatsächlich eine Aufwertung für quasi jeden Raum – optisch, akustisch und funktional, im Sinne eines Sichtschutzes. Wenn ich in einem schönen Raum sitze und der hat keine Vorhänge, dann fehlt für mich etwas. Als Einrichter haben wir den Vorteil, einem Raum komplett wertneutral zu begegnen, weil wir keinen persönlichen Bezug dazu haben. Wenn jemand seit zehn Jahren in seiner Wohnung lebt, ist er befangen und folgt in erster Linie seinen Gewohnheiten. Wir haben permanent mit den unterschiedlichsten Raumsituationen zu tun und ein entsprechendes Vorstellungsvermögen, das manchem vielleicht fehlt. Tiroler sind allerdings erfahrungsgemäß generell nicht sehr textilaffin. Es lohnt sich aber, zwischendurch aus seinen Gewohnheiten auszubrechen und die Hilfe von Experten anzunehmen. In der Regel richtet man sich nur einmal ein, deshalb macht es durchaus Sinn, sich damit auseinanderzusetzen, für Varianten offen zu sein und sich für Verschiedenes zu interessieren. Es gibt auch Leute, die sich ihr Leben lang einrichten und es zu ihrer Passion gemacht haben, aber das ist eine andere Geschichte.

Inwiefern begleitet oder beeinflusst Kunst die Architektur? In den meisten Fällen steckt hinter jedem Kunstwerk eine Geschichte, es sagt also zum einen viel über die Bewohner*innen aus. Auf der anderen Seite kann es auch die Optik und Wahrnehmung eines Raumes verändern. Manfred Schluderbacher etwa malt unter anderem großflächige, helle Bilder. Hängt man sich ein solches Bild auf, verstellt es im Raum genau gar nichts, eher im Gegenteil: Es lässt ihn größer wirken. Große, dunkle Bilder hingegen verkleinern den Raum meistens. Es gibt Wände, die förmlich nach Kunst schreien, oft schadet es jedoch auch nicht, eine Wand frei- und Raum zum Durchatmen zu lassen.

Muss Kunst immer einen Zweck erfüllen oder darf sie auch einfach „nur schön“ sein? Ich bin Galerist und habe damit mit den unterschiedlichsten Ausprägungen von Kunst zu tun. Ich persönlich bin ein Anhänger der ästhetischen Kunst. Man muss es nicht zwangsläufig so sehen, aber ich denke schon, dass man sich Kunst anschauen können sollte. Gerade im privaten Wohnraum ist Kunst immer eine Art Gestaltungselement und sollte in irgendeiner Form in den Raum passen. Oder überhaupt nicht – auch ein kompletter Kontrapunkt ist ein Statement. Ich bin kein Freund von Diktaten sondern total open-minded. Wenn es jemandem gefällt, soll er’s machen.

Muss Kunst auf den ersten Blick verstanden werden? Es ist doch gerade das Schöne, wenn jeder in einem Bild etwas anderes erkennt. Leider wollen die meisten Menschen immer alles erklärt haben. Das braucht es meiner Meinung nach nicht. Wenn man in ein Museum geht, ruft man bestimmte Informationen ab: Da hängt dieser und jener Künstler, über manche weiß man einiges, über einen anderen kaum etwas. Und eigentlich ist doch das, was man nicht kennt, das wirklich Interessante. Wenn man vor einem Bild steht und die erste Reaktion ist „Hä?“, beginnt man erst wirklich, darüber nachzudenken. Diese Herausforderung mag ich. Natürlich kann man sich über die Intention des Künstlers informieren, aber eigentlich ist das eigene Empfinden das viel Schönere. Die Betrachter*innen stehen an den unterschiedlichsten Punkten und bringen die unterschiedlichsten Kunsterfahrungen mit. Jemand, der sich nie mit Kunst beschäftigt, wird vielleicht etwas anderes in einem Bild sehen als jemand, der sich seit jeher mit Kunst umgibt. Alles hat seine Berechtigung. Man muss sich auf die Kunst einlassen, dann erst wird es richtig spannend. Die Hemmschwelle, in eine Galerie zu gehen, ist leider immer noch sehr hoch. Das ist schade. Wir sollten uns viel mehr mit Kunst beschäftigen.

Kunst in all ihren Facetten ist extrem vielseitig. Gibt es dennoch eine Raumkonstellation, die für Sie in Sachen Kunst gar nicht funktioniert? Nein, da würde mir keine einfallen. Kunst ist vor allem eine Beziehungssache. Es gibt Menschen, die brauchen die Nähe, es gibt Menschen, die brauchen Abstand dazu. Manche Bilder verändern sich mit dem Lichteinfall und schauen zu jeder Uhrzeit anders aus. Ob Kunst „funktioniert“, ist weniger eine Frage des Raumes oder des Bildes, sondern der Hängung. Durch unsere Nichtbefangenheit tun wir uns als Experten nicht nur beim Einrichten leichter, sondern auch in der Kunstbetrachtung.

Sie sind Galerist und haben ein Einrichtungshaus. Gibt es bei Ihren Kund*innen eine Schnittmenge? Durchaus, aber nicht zwangsläufig. Jemand, der sich bei uns einrichtet, ist nicht unbedingt der, der sich auch ein Bild bei uns aussucht. Wir bewegen uns vorrangig im gehobeneren Metier, und einen Nitsch oder Scheibl erwirbt man nicht, weil er grad zufällig zum Sofa passt. Eher sind es die Kunstkäufer, die folglich Möbel bei uns kaufen.

Werden Räume auch um ein Kunstwerk herum gestaltet? Es kommt nicht selten vor, dass Leute einen Raum um ihr Lieblingsbild herum einrichten und das Bild dabei der dominante Part bleibt. Grundsätzlich haben Kund*innen, die ein Bild in der Galerie kaufen, eher ein Verständnis für unsere Möbel als umgekehrt. Die Kombination aus hochwertigen Möbeln und Kunstgalerie ist in dieser Form einzigartig. Es gibt vermutlich wenige Einrichtungshäuser, in denen Kunstwerke von Hermann Nitsch, Andy Warhol oder Hubert Scheibl hängen. Das muss sich für die Kund*innen aber nicht unbedingt ergänzen. Es gibt kunst- und einrichtungsaffine Menschen. Das sind zwei Paar Schuhe.

Gibt es tatsächlich Menschen, die kunstaffin sind, aber überhaupt keinen Bezug zum schönen Wohnen haben? Natürlich. Vor allem bei Kunstsammler*innen steht nicht immer die Ästhetik im Vordergrund. Ich kenne Wohnungen, in denen grandiose Kunst hängt, die Möbel aber komplett unwichtig sind. Es ist nichts Schlechtes daran, wenn Räume nicht von A bis Z durchgestylt sind, sondern man die Bewohner*innen darin erkennt. Einrichtung muss wachsen. Man kann ein professionelles Grundgerüst schaffen, die Individualität und Persönlichkeit kommt aber durch die, die darin leben. Sonst läuft man Gefahr, wie in einem Katalog zu wohnen.

Stichwort Kunstsammler: Viele dieser Bilder werden in Depots verwahrt und steigern dort – im besten Fall – ihren Wert. Ist es aber nicht schade, wenn Bilder nicht gesehen werden? Wir sind mit der Kombination aus Einrichtungshaus und Galerie in der glücklichen Lage, Bilder auch außerhalb der Galerie in unsere Schauräume hängen zu können und damit den klassischen White Cube zu verlassen. Dennoch haben wir noch ein großes Lager voller Bilder. Natürlich möchten Bilder vor allem gesehen werden, beim Sammeln geht es aber um mehr. Sammeln ist eine Leidenschaft und es geht in einem gewissen Maß auch um einen Besitzanspruch. Das ist auch bei mir so. Im Grunde gibt es zwei Welten der Kunst: Man geht ins Museum und schaut sich Bilder an, die einem gefallen, oder man kauft ein Bild, das einem dann gehört. Es gibt viele Werke, die mir gefallen, die ich mir aber nie kaufen würde, und dann gibt es welche, die möchte ich besitzen. Auch wenn ich nicht alles aufhängen kann und die Bilder in einem Depot untergebracht sind: Ich weiß, dass ich sie habe. Und allein dieses Haben bereitet mir Freude.

Sie sind Galerist, kaufen also Kunst nicht nur für sich, sondern auch für andere. Haben Sie schon einmal ein Bild an jemanden verkauft, von dem Sie eigentlich gar nicht wollten, dass er dieses Bild besitzt? Es ist mein Beruf, Kunst zu verkaufen, völlig unabhängig davon, ob mir der Käufer zu Gesicht steht. Auch wenn das zugegebenermaßen nicht immer einfach ist. Es gibt Galeristen, die verkaufen Kunst wie Tomaten oder Ziegelsteine. Das ist o.k., bei mir hat Kunst dazu eine hochemotionale Komponente, ich kann aber einem Kunden schwerlich sagen: Das ist ein ganz besonderes Bild, aber Ihnen verkaufe ich es nicht. Manchmal wissen Kund*innen gar nicht, was man ihnen mit einem Bild eigentlich Gutes tut. Aber so ist es nun mal. Schlussendlich ist die Intention von Galeristen und Käufern die gleiche: Man ist auf der Suche nach einem guten Bild.

Ist Qualität eine Frage des Preises? Nein, nicht unbedingt. Ich bin gerichtlich beeideter Sachverständiger für Kunst und im Zuge dessen in Innsbruck einmal auf einen kleinen Schatz gestoßen. Über viele Jahre hat jemand mit relativ wenig Geld eine Sammlung kleiner Bilder von Gunter Damisch, Arnulf Rainer und ähnlichen Künstlern aufgebaut, die klasse war. Richtig gut. Natürlich muss man Geld investieren, aber es müssen nicht gleich zehntausende Euro sein. Auch von großen Künstlern gibt es kleinere Arbeiten wie Zeichnungen oder Papierarbeiten, die durchaus Qualität haben. Wenngleich man für ein Superbild ruhig etwas zu viel bezahlen kann. In dem Fall kauft man sich ein Stück Sicherheit mit. Meist wird es irgendwann vom Preis überholt. Es wäre unseriös, in der Kunst Preissteigerungen zu versprechen, aber es gibt Positionen, mit denen macht man wenig falsch. Wobei teuer immer auch eine Frage der Perspektive ist. Nitsch wurde auf der Art Basel einmal nicht ausgestellt, weil er zu günstig war – wenngleich sich das mittlerweile geändert hat. Auf der anderen Seite gibt es in Amerika immer wieder Shootingstars, für die innerhalb von ein paar Monaten eine halbe Million Dollar bezahlt wird, weil irgendein Hollywoodstar ein Bild gekauft hat, und im nächsten Jahr kennt die keiner mehr. Es gibt keine Facette am Kunstmarkt, die es nicht gibt. Doch genau das macht es spannend. Bei Wohnen ist das ähnlich. Man soll einfach Mensch bleiben, mit allen Emotionen und Marotten und Einrichtungsvarianten und Kunstgeschmäckern. Wir führen zum Beispiel wunderbare Betten von Treca Paris, das Feinste vom Feinen. Wenn aber jemand zu Hause lieber auf einem Holzbrett liegt, dann ist das auch o.k. Solange er gut schläft, ist alles in Ordnung.


Interview: Marina Bernardi

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