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Life

Unsichtbare Frauen

11.6.2025

Ihre Werke prägen die Tiroler Landeshauptstadt auf ziemlich beeindruckende Weise. Mit der Bergiselschanze auf der einen und der Hungerburgbahn auf der anderen Seite des Inns hat Zaha Hadid (1950–2016) zwei Bauwerke hinterlassen, die Innsbruck regelrecht in eine ästhetische Zange nehmen. Mit prächtigen Kurven, dynamischen Formen und einem durchwegs machtvollen Charakter, der nicht nur den ihren, sondern auf Umwegen auch den der Innsbrucker Alt-Bürgermeisterin Hilde Zach widerzuspiegeln scheint.

Auf ihre Art waren sie wohl beide wilde Weiber. Der wilden Hilde stand der visionäre Sinn jedenfalls nach neuen Blickfängen und neuen Zeichen, mit der ihre Stadt strahlen sollte. Für gleich zwei große bauliche Pulsgeber heuerte sie eine Architektin an, die sich mit ihrer löwinnenhaften Art und einer Formensprache, die so manchen Architektenmann verdutzt kuschen ließ, an die Spitze dieser Profession gebaut hat. Wird von Hadid gesprochen oder geschrieben, kommt der Hinweis auf ihr Temperament und ihre Launenhaftigkeit fast wie das Amen im Gebet. Wird über männliche Architekten gesprochen oder geschrieben, finden sich derartige Seitenhiebe auf mutmaßliche Charakterschwächen so gut wie nie. Das Werk zählt. Und aus.

Zaha Hadid wird es wohl egal gewesen sein, was da so alles über sie gedacht, gemunkelt oder geschrieben wurde. 2004 erhielt sie als erste Frau den Pritzker-Preis, die bedeutendste Ehrung in der Welt der Architektur. Auch ewige Anerkennungen wie diese tragen dazu bei, dass Hadids Innsbrucker Spuren für immer große Strahlkraft behalten. Ein Strahlen, das anderen Architektinnen, Tiroler Architektinnen der ersten oder zweiten Stunden, verwehrt geblieben ist. „Sie waren oft besser als die Männer“, sagt Arno Ritter. Der Leiter des aut.architektur und tirol weiß, wovon er spricht, und spricht er von den Männern, so meint er im Fall der ersten Architektinnen des Landes meist ihre Männer. „Da hat es einige Kombinationen gegeben. Ich denke da an Charlotte und Karl Pfeiler oder Christa und Hermann Zelger“, verweist Ritter etwa auf zwei große Namen, deren Bauspuren sich durch das Land ziehen, wobei der Anteil der Frauen meist unerwähnt geblieben ist oder auf schwer lesbare Fußnoten verbannt.

Kaum jemand weiß, dass Verena Achhammer (1927–2012), die Frau des Gründers von ATP architekten ingenieure, ebenso Architektin gewesen war. Ihren späteren Mann hatte sie während des Architekturstudiums in Zürich kennen gelernt, ihn im Abschlussjahr 1952 geheiratet und ihr großes Raumgespür nur erstmals im 1956 errichteten Wohn- und Bürohaus in Innsbruck Sadrach umgesetzt. „Bis das aut daran ging, sie sichtbar zu machen, waren diese Architektinnen alle nicht bekannt. Sie sind wirklich hinter den Büros gestanden, in den Küchen und in den Kinderzimmern und haben in der Nacht gezeichnet. Nur Liane Zimbler kannte man, doch sie hatte eine andere Geschichte“, weiß die Innsbrucker Architektin Elisabeth Senn, die hinter Margarethe Heubacher-Sintobe das älteste weibliche Mitglied der heimischen Architekt*innen-Kammer ist.

Liane Zimbler war 1892 im böhmischen Prerau zur Welt gekommen und hatte als außerordentliche Hörerin – offiziell wurden Frauen in Österreich erst ab 1919 an den Technischen Hochschulen zugelassen – an der TH Wien studiert. Bereits 1918 wurde das erste von ihr geplante Haus in Bad Aussee gebaut, ab 1924 arbeitete sie in ihrem eigenen Atelier und 1938 legte Liane Zimbler als erste Frau in Österreich die Ziviltechnikerprüfung ab. In diesem Jahr wurde auch das Berghaus fertiggestellt, das sie im Auftrag des österreichischen Schriftstellers Walter Eidlitz in Gnadenwald geplant hatte. Arno Ritter hatte die Gelegenheit, dieses Holzhaus mit Satteldach nicht nur von außen, sondern auch von innen zu betrachten – und zu bewundern. Er sagt: „Das räumlich Komplexe mit den vielen Innenraumdetails – da spürst du den Loos-Einfluss. Echt schön.“ Es war wohl das letzte echt Schöne, das Liane Zimbler in Österreich beziehungsweise Europa umsetzen konnte. „Sie war Jüdin und emigrierte noch 1938 nach Los Angeles, wo sie dann hauptsächlich als Innenarchitektin arbeitete“, erzählt Arno Ritter.

Ja, wo sind sie denn, die Frauen?

Diese schlimme ist die andere Geschichte, die Elisabeth Senn meinte. Sie beschäftigt sich intensiv mit den Tiroler Frauen im wie am Bau, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Das Sichtbarmachen der Architektinnen prägte auch ihre Zeit in der Kammer der Ziviltechniker*innen. Arch+Ing | Tirol und Vorarlberg, in der sie 2004 die Gründung des Ziviltechnikerinnenausschusses initiiert hatte. Auf den entscheidenden Tiroler Schritt folgte die Einrichtung von Ziviltechnikerinnenausschüssen auch in den anderen Länderkammern sowie in der Bundeskammer und der Funke, der all dies auslöste, spricht Bände für den Kampf um Wahrnehmung, den Frauen auch in dieser Profession führen mussten beziehungsweise müssen. Elisabeth Senn hatte beim Land – der Geschäftsstelle Dorferneuerung – nachgefragt, warum nicht mehr Frauen, Architektinnen, Kolleginnen zu den geladenen Wettbewerben eingeladen werden: „Der Herr, mit dem ich da gesprochen habe, fragte: Ja, wo sind sie denn, die Frauen? Da dachte ich, okay, jetzt machen wir uns sichtbar. Ich bin dem Herrn, wer immer das war, sehr dankbar.“

„Ihre Arbeiten sind unbekannt, unterschätzt und überraschend“, sagt Arno Ritter zu den immer mal wieder entdeckten Bauwerken der Pionierinnen im Schatten, die ihm ein erkennendes und vor allem anerkennendes „Ja hoi!“ entlocken. Was die ersten Tiroler Architektinnen verbindet, was der rote Faden ihrer Biografien ist, meint Elisabeth Senn schlicht: „Das Trotzdem.“ Das Kämpferische dieses Wortes klingt fast zu sympathisch, selbst wenn es für viele der ersten Architektinnen „halt so war“, dass die Männer in der Öffentlichkeit standen und sie die Nacht nutzen mussten, um zu zeichnen. Vor diesem Hintergrund und durch eine aufgeklärte Brille betrachtet, wirkt das Erbe der 2019 verstorbenen Architektin Christl Stigler da besonders trist. „Es tut mir sehr leid, dass sie zu Lebzeiten nie die Anerkennung bekommen hat, die sie verdient hätte“, sagt Arno Ritter.

Christl Stigler war die Schwiegertochter Wilhelm Stiglers, der neben Lois Welzenbacher, Clemens Holzmeister oder Franz Baumann als einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts in Tirol gilt. Die Markthalle in Innsbruck gehört zu den bekanntesten Gebäuden des Architekten, dessen Sohn Willi Stigler jun. 1954 in das Architekturbüro des Vaters eintrat und 1956 Christl Powondra heiratete, die damit den Namen Stigler annahm. Das Lebenswerk ihres Schwiegervaters umfasste laut einer 2018 erschienenen Publikation über 900 Entwürfe. „Es heißt, dass Christl Stigler eigentlich die meisten Entwürfe im Büro gemacht hat“, erzählt Elisabeth Senn Erstaunliches über die Zeit, nach der die Schwiegertochter im Architekturbüro der Familie mitarbeitete. Wenn es Christl Stigler aber gelungen ist, aus den mächtigen Schatten herauszutreten, dann zeigte sie noch Erstaunlicheres. Und Großes.

Kurz bevor Anfang 2024 am Innsbrucker Franziskanerplatz das Haus Museumstraße 1 abgerissen wurde und eine bizarre Blicklücke hinterließ, hatte Elisabeth Senn eine Verabschiedung der echt anderen Art organisiert. Ein bauliches Kleinod wurde dort gewissermaßen zu Grabe getragen. Denn in der Museumstraße 1 war Christl Stigler mit dem Bau der Be-Be-Bar 1966 ein architektonisches Meisterwerk gelungen, das ihre späteren Kollegen nachhaltig faszinierte. „Sie dachte anders, verwendete Materialien neu, Materialien, die eigentlich einen ganz anderen Sinn hatten“, sagt Elisabeth Senn. Ein verbales Chapeau! widmete auch der Innsbrucker Architekt Rainer Köberl der Planerin der Be-Be-Bar. Für das aut-Magazin hielt er in einem Artikel mit dem Titel „christl stigler im schatten – ihr ‚bebe‘ – ein kleinod“ fest: „Ich wäre gerne einmal im Original drinnen gesessen, habe aber leider nur ‚hineingespechtelt‘, vielleicht hat mir die Klientel damals nicht gefallen. Jedenfalls war diese Arbeit Christl Stiglers ein Highlight in Innsbruck, vielleicht sogar bedeutender als die sehr wohl beachteten Gasträume ihrer Kollegen.“

Die Decke aus sichtbar belassenen, Mann an Mann verlegten „Katzenbergerträgern“ habe mit den leicht gewellten Flächen aus Drahtglas vor weißen oder grau gemalten Wänden kontrastiert sowie den Aluminium- und Chromflächen – je nach Funktion geordnet – und dem warmen braunen Leder für Bänke, Sessel und Barhocker. „Alles auf schwarzem Schieferboden und hinten, nach den kräftigen, gemauerten Betonsteinlaibungen und den Alutafeltüren, die WCs in hellgrauem Kleinmosaik“, schrieb Köberl. Alles nicht mehr da. „Ein Haus von ihr gibt es noch, in Patsch“, weiß Arno Ritter. Auch dieses 1973/74 entstandene Ferienhaus, das Haus Faistenberger, besticht durch eine feine Eleganz und eine superfeinsinnige Verwertung alter Baumaterialien – etwa mit dem Ofen, der aus alten Abbruchziegeln gefertigt wurde. Ritter: „Es steht jetzt unter Schutz. Sonst ist von ihr als Autorin aber nichts mehr vorhanden.“ Jedenfalls nichts, auf dem ihr Vorname steht.

Weibliche ArchitekturSpuren

Aus dem sich nur mühsam lichtenden Nebel erster weiblicher Architekturspuren in Tirol sticht die 1945 in Schwaz geborene und dort auch wohnhafte Margarethe Heubacher-Sentobe heraus – wie ein Highlight aus den dunklen Bauschatten. Arno Ritter bezeichnet Margarethe Heubacher-Sentobe als „die einzige Tiroler Architektin der älteren Generation, die weltweit anerkannte Projekte gemacht hat“ – und immer noch aktiv ist. Recht außergewöhnlich – von Österreich über Italien bis Japan reichend – war etwa die Medienpräsenz, die ihr für das Haus Larcher zuteil wurde, das sie für den Pianisten in Innerst am Weerberg geplant hatte. „Ich habe sie im Landeskulturrat für den Großen Preis vorgeschlagen, weil ich einerseits ihre bekannten Projekte sehr schätze, sie aber auf der anderen Seite viele Umbauten von Dachböden und Wohnungen im ganzen Land gemacht hat, was nicht unwesentlich ist für eine Veränderung von Gestaltungskultur“, hebt Ritter den starken Einfluss hervor, den die Architektin neben ihren High-End-Zeichen mit Basisarbeit geleistet hat.

Von der Kunstkritikerin, Journalistin und Autorin Liesbeth Waechter-Böhm wurde Margarethe Heubacher-Sentobe im Rahmen eines Interviews mal auf die Schwierigkeiten angesprochen, die Frauen früher gehabt haben müssen, um in der Architekturszene mitzumischen. Sie antwortete: „Für mich kann ich das nicht bestätigen. Ich habe deswegen nie Schwierigkeiten gehabt.“ Das ist vielleicht das größte TROTZdem.

Bilder:
1. Architektin Christl Stigler, Schwiegertochter von Wilhelm Stigler, schuf mit der Be-Be-Bar 1966 ein architektonisches Meisterwerk in der Innsbrucker Museumstraße, das viele ihrer Kollegen nachhaltig faszinierte.
2. Liane Zimbler plante im Auftrag des österreichischen Schriftstellers Walter
Eidlitz dessen Berghaus in Gnadenwald. 1938 wurde es fertiggestellt.

Text: Alexandra Keller, Fotos: Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck, Arno Ritter

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