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Life

Mit Leib und Seele

21.2.2023

In seinem Haus am Pirchanger hat Johannes „Hannes“ Gürtler alles, was ihn ausmacht, unter einem Dach: seinen Beruf, die Sattlerei, und seine geliebte Musik. Durch einen Raum mit großen Tischen zum Zuschneiden der Lederhäute betritt man Gürtlers Büro mit einer kleinen Kaffeebar. Dort stehen auch Musikinstrumente aller Art: von der Tuba über die Geige bis zur Ziehharmonika. An der Bar erzählt er über sich und das Sattler-Handwerk.

Schon der Vater von Johannes Gürtler war Sattler im benachbarten Stans. Hannes erlernte das Handwerk ebenfalls, zog nach Schwaz und machte sich 1984 selbstständig. Anfänglich, so erzählt er, übte er auch tatsächlich noch die klassische Sattlerei aus: „Zur Meisterprüfung habe ich für einen Noriker ein Kummet und ein komplettes Zuggeschirr gemacht. Auch für einen Pillberger Bauern habe ich einmal ein Geschirr für seinen Schlitten angefertigt.“ Doch Pferde als Arbeitstiere und Fortbewegungsmittel sind inzwischen bekanntermaßen selten geworden, Sättel, Zügel und dergleichen werden nicht mehr gebraucht – und wenn, dann kommt die Ware oft zu Billigpreisen aus dem fernen Osten. Daher verdiente sich Gürtler sein Geld eine ganze Weile mit „Trachtensattlerei“: Ranzen für Musik und Schützen, schöne Glockenriemen für das Vieh, wenn es von der Alm abgetrieben wurde. Dabei entstand jedoch ein skurril anmutendes Problem. Gürtler arbeitete zu gut: „Das Blöde, wenn man so etwas aus Leder macht, ist, dass der Kunde nie wieder kommt, weil die Sachen so lange halten.“


Ein „Sattel“ für die Boliden

Daher stand eine neuerliche Spezialisierung an: Gürtler verlegte sich auf die „Autosattlerei“. Er macht nun Sitze und Verkleidungen für alte und neue Autos aus Leder, aber auch gemischt mit hochwertigen Textilien. Anfangs war Gürtler noch zu den Kunden gefahren, später änderte er die Geschäftsgebarung: „Alles was Räder hat, kann auch zu mir kommen.“ Darum kann es schon einmal vorkommen, dass rassige Boliden oder echte Oldtimer vor seiner Tür stehen und die Nachbarn aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. 

Über mangelnde Aufträge kann er sich dabei wahrlich nicht beschweren. Er hat sich in der Branche einen Namen gemacht und seine Kunden kommen aus ganz Österreich und Süddeutschland. Gürtler staunt selbst oft: „Es ist ganz unglaublich, woher die Leute alle kommen.“ Mundpropaganda macht’s möglich.


Ehrfurcht vor der Kreatur

Dass er diese Laufbahn eingeschlagen hat, bereut Hannes Gürtler nicht: „Das Handwerk ist mein Leben – und die Musik.“ Dass er nur mehr einer von sechs Sattlern in ganz Tirol ist, das bedauert er sehr. Aber das sei nun einmal der asiatischen Konkurrenz und einem völlig veränderten Lebensstil geschuldet: „Früher war einfach alles aus Leder: Die Riemen, die das Sägewerk angetrieben haben, das Geschirr für den Ochsen, der den Pflug gezogen hat.“ 

Er selbst versucht, die Tradition noch hochzuhalten. Denn immerhin sei Leder „nicht irgendein Material“. Wenn er davon spricht, dann nur mit Hochachtung: „Wenn ich bei mir eine Lederhaut ausbreite, dann liegt da schon ein Haufen Arbeit: Da war der Bauer, der das Tier gefüttert und gepflegt hat. Der Metzger, der es am Lebensende einer Weiterverarbeitung zugeführt hat. Und schließlich der Gerber, der das Leder verarbeitet hat. Es gehört auch die Ehrfurcht vor der Kreatur dazu. Das war einmal ein lebendes Tier. Und damit muss man entsprechend umgehen. Wenn man das versteht, kann man sich auch hineinleben in den Beruf, in die Tradition.“ 

Die Häute, die Gürtler verarbeitet, versucht er vorwiegend aus der Region zu beziehen: Rind, Ziege, Schaf: „Das geht, aber es ist natürlich eine Preis- und eine Zeitfrage.“ Denn ein großes Lager anzulegen, das rentiert sich nicht, und dementsprechend lang sind oft die Lieferzeiten. Manche Kunden hätten für das gediegene Handwerk selbst ein Faible: „Die kommen, weil sie ewig im Internet gesucht haben. Und wenn sie mich dann gefunden haben, sind sie happy.“ Bei anderen ist es hingegen umgekehrt und mit denen kann Gürtler nichts anfangen: „Die kommen und sagen: Ich hab das im Internet gesehen und ich will das von dir jetzt auch um den Preis.“ Denen rät der Sattler dann ganz einfach, im Web zu bestellen. Allerdings mit dem Nachsatz: „Aber kommt mir dann nicht damit, wenn ich’s reparieren soll.“

Doch auch die Tage seines Betriebes sind gezählt. Gürtler ist inzwischen 60 und hat nicht vor, bis weit über das Erreichen des Pensionsalters zu arbeiten: „Es ist ein wunderschönes Handwerk, aber es waren zu viele Nachtschichten dabei. Ich muss einfach irgendwann kürzertreten.“ Auch seine langjährige Partnerin Elfi hat das Geschäft sprichwörtlich Tag und Nacht mitgetragen. Gürtler’s Bemühungen, Nachfolger zu finden, indes waren vergeblich: „Es ist mir leider nicht gelungen, jemanden für den Beruf zu begeistern. Dann stirbt er in meiner Linie halt aus.



Text: Uwe Schwinghammer

Fotos: Tom Bause

Aus: Dahoam Winter 22 / Tirol Magazin Winter 22

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