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Wirtschaft

Pflege-Fall

20.10.2021

„Die Pflegekräfte sind ausgebrannt. In allen Bereichen, ob es in der Langzeitpflege, der mobilen Pflege oder der Intensivpflege ist. Die Situation spitzt sich zu“, sagt Ines Viertler. Sie ist Tiroler Landesvorsitzende des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. Viertler leitet die Lehrgänge Intensiv-, Kinderintensiv- und Anästhesiepflege an der fh gesundheit Tirol und stand selbst 15 Jahre in einer neurologischen Intensivstation am Krankenbett. Die Pandemie trägt zur Pflegemalaise bei, ist aber keineswegs ursächlich schuld daran. „Die Lage ist aufgrund der Einsparungen im Gesundheitssystem so prekär. Gespart wurde vor allem beim Personal. Die Personalschlüssel sind sehr eng kalkuliert“, erklärt Viertler und vermutet, „dass man da an der falschen Stelle spart“.

Wirtschaftliches Denken und Kosteneffizienz sei zweifellos wichtig, solle aber „gerade im Gesundheitssystem nicht an oberster Stelle stehen“. Dadurch tauscht man kurzfristige Einsparungen gegen ein langfristiges Problem ein, dessen Lösung erstens länger dauert als eigentlich Zeit ist und zweitens sehr viel Geld kostet. Guter Rat ist jetzt teuer. „Auf die Schnelle bekommt man keine Pflegekräfte“, weiß Ines Viertler. Die Förderung von Menschen – etwa über Pflegestiftungen–, die aus anderen Berufen in die Pflege wechseln wollen, hält sie prinzipiell für ein gutes Instrument: „Das sind meistens ganz tolle Arbeitnehmer, die mitten im Leben stehen und noch einmal umschulen wollen. Die sehen einen Sinn in ihrer Pflegetätigkeit.“ 

Apropos Sinn: Es sind vielfach nicht die Rahmenbedingungen, die viele Pflegekräfte, deren Kräfte sich dem Ende zuneigen, noch durchhalten lassen, sondern das Pflichtgefühl. „Die Pflege ist sehr empathisch. Sie lässt weder Patienten noch Klienten im Stich“, weiß Viertler. Es ist ein Warnsignal, zumal für eine älter werdende Gesellschaft, wenn die Pflegekräfte im Land ihren Beruf nur noch deshalb ausüben, weil sie niemanden im Stich lassen wollen. Dass unter derartigen Voraussetzungen die langfristigen Perspektiven nicht unbedingt rosig aussehen, kann man sich lebhaft vorstellen. 

Unbezahlbare Tätigkeiten

Die Arbeit, die in der Pflege Tag für Tag, jahrein, jahraus geleistet wird, ist unverzichtbar. Und unbezahlbar. Unbezahlbar auch deshalb, weil unsere Gesellschaft (noch) nicht in der Lage ist, sie angemessen zu würdigen. Das betrifft sowohl die professionelle Pflege – für die pandemiebedingt im letzten Jahr noch so emphatisch geklatscht wurde, die monetäre Anerkennung aber weit weniger locker sitzt – als auch die Laienpflege, die von den Angehörigen pflegebedürftiger Menschen geleistet wird und die gesellschaftlich von unschätzbarem Wert ist. Beifall ist gratis und wenn er nicht von anderen Maßnahmen zur Verbesserung der prekären Pflegesituation begleitet wird, wohl auch umsonst. „Der Pflegeberuf ist einer der schönsten Berufe, die es gibt. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich zu spezialisieren und weiterzubilden. Außerdem ist unser Beruf sinnstiftend, man leistet einen Beitrag für die Gesellschaft“, ist Ines Viertler überzeugt. Nur werde zu oft auf die Pflegenden vergessen. Es lässt sich auch nicht – so wie im ganzen Leben – alles einfach mit Geld regeln. „Geld ist wichtig, aber Geld ist nicht alles“, ist Viertler realistisch. Es braucht auch noch andere, nichtmonetäre Änderungen, um den Pflegeberuf attraktiver werden zu lassen. Etwa durch eine Ausweitung der Kompetenzen gerade in der Langzeitpflege und mobilen Pflege. Dazu könnte die Weiterverordnung von Medizinprodukten zählen, die noch ihrer Umsetzung harrt. Eine andere Maßnahme ist die direkte Verrechnung von Leistungen mit den Krankenversicherungen und eine dementsprechende Adaptierung des Arbeits- und Sozialversicherungsgesetzes. Ein klarer Versorgungsauftrag und ein dementsprechend standardisierter Leistungskatalog würden es freiberuflich tätigen Pflegepersonen ermöglichen, im Rahmen der Primärversorgung ihre Leistungen transparent mit den Krankenversicherungen abzurechnen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. 

Es gibt ein politisch-gesellschaftliches Wertschätzungsdefizit, das sich nicht nur, aber auch in der Entlohnung von Pflegekräften äußert. „Es redet immer jeder über die Pflege, aber nicht mit der Pflege“, bringt Ines Viertler das kollektive Unbehagen auf den Punkt und konkretisiert: „Pflegekräfte sind bei diversen Taskforces weder als Experten noch beratend involviert.“ Und auch in den Medien ist die Pflege seit Pandemiebeginn zwar ein sehr präsentes Thema, aber Wortmeldungen direkt aus dem Bereich waren äußerst dünn gesät. Das ist kein besonders befriedigender Zustand, auch wenn die Anliegen der Pflege verschiedentlich von Gewerkschaftsvertretern und der Arbeiterkammer zur Sprache gebracht werden.

Weiterentwicklung auf Augenhöhe

In der Pflege gibt es zweifellos Reformbedarf. Das Berufsfeld muss attraktiver werden. Das wird Geld kosten, kann aber so umgesetzt werden, dass es auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist, die Versorgungslandschaft am Bedarf orientiert weiterzuentwickeln und auch pflegende Angehörige besser zu unterstützen und abzusichern. Es braucht eine echte Reform, die Pflegepersonen in Österreich, die – oft bis an die Grenzen der Erschöpfung und darüber hinaus – eine gesellschaftlich notwendige Leistung erbringen, das Gefühl gibt, dass ihr Berufsfeld in Abstimmung mit ihnen und auf gleicher Augenhöhe weiterentwickelt wird. Wegen der Wertschätzung warat‘s.

Text: Marian Kröll


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