Mit dem Amtsantritt von Anton Mattle ist die Kultursgenda des Landes direkt ins Landeshauptmann-Büro übersiedelt, was nicht nur in der Szene für Freude gesorgt hat. „Kunst und Kultur sind nicht nur Selbstzweck“, sagt er. „Kultur nimmt ganz massiv Einfluss auf unsere Gesellschaft und kann in vielen Fällen auch dazu dienen, Selbstreflexion zu üben.“ In seinem Büro hängen – perfekt ausgeleuchtet und nebst einem maximal reduzierten Schreibtisch – abstrakte Werke unter anderem von Helmut Schober und dem Galtürer Künstler Arthur Salner. Wir haben Anton Mattle zum Gespräch getroffen.
eco.nova: Der Wert von Kultur ist schwer zu fassen. Müssen Kunst und Kultur Ihrer Meinung nach immer einen Zweck erfüllen? Anton Mattle: Als Menschen generell und als Verantwortungsträger*innen im Speziellen neigen wir dazu, Dinge stets monetär bewerten zu wollen. Das funktioniert allerdings nicht überall. So kann eine Bilanz eines Landes nicht rein betriebswirtschaftlich betrachtet werden, weil es dabei immer auch um das Gemeinwohl geht, an das sich kein Preisschild hängen lässt. So verhält es sich auch mit Kunst und Kultur. Kultur darf durchaus einfach etwas Schönes sein, etwas, das Freude bereitet. Wir leben in Zeiten mit vielen Unsicherheiten, die geopolitische Lage ist nicht einfach. Sich eine Zeitlang aus diesem Alltag zu nehmen, erachte ich definitiv als etwas Wertvolles. Auf der anderen Seite kann man sich mit Kunst ganz bewusst auseinandersetzen. Was will die Künstlerin oder der Künstler dem Betrachter mit auf den Weg geben? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Künstler*innen – egal, in welchem Bereich sie sich engagieren – meist hochsensible Menschen sind. Oftmals spüren sie gesellschaftliche Entwicklungen schneller als andere. Von dieser Sensibilität können wir durchaus lernen.
Kunst und Kultur werden gerne an ihrem gesellschaftlichen Wert gemessen. Können sie darüber hinaus auch einen konkreten Beitrag zur regional- und volkswirtschaftlichen Entwicklung leisten? Natürlich hat die Kulturwirtschaft auch ökonomische Relevanz, schon weil in diesem Bereich zahlreiche Mitarbeiter*innen beschäftigt sind. Allein am Tiroler Landestheater und dem Symphonieorchester arbeiten 450 Menschen, in den Tiroler Landesmuseen rund 150. Das ist wirtschaftlich darstellbar. Ich möchte an dieser Stelle allerdings auch auf die zahlreichen Ehrenamtlichen hinweisen, ohne die Kultur nicht möglich wäre. Viele Kulturinitiativen, Blasmusikkapellen oder Bibliotheken sind ehrenamtlich getragen. Im vergangenen Jahr wurde außerdem eine Studie zu Österreichs Musikwirtschaft veröffentlicht. Demnach generiert allein diese eine Wertschöpfung von 7,5 Milliarden Euro, das ist mehr als das Tiroler Landesbudget. Direkt und indirekt hängen österreichweit 117.000 Arbeitsplätze daran. Das hat einen enormen wirtschaftlichen Wert.
Kürzlich fand die Konferenz der Kulturreferent*innen der Bundesländer in Erl statt. Auch Kulturminister Andreas Babler war dabei. Was haben Sie daraus mitgenommen? Allein die Zusammenkunft aller politischen Verantwortungsträger in diesem Bereich ist extrem wertvoll, weil Kultur vom Austausch lebt. Im Moment ist es für alle Bundesländer schwierig, weil die Gelder klamm sind. Doch jeder kämpft darum, so viele Projekte wie möglich innerhalb des budgetären Rahmens umzusetzen. Konkret haben wir unter anderem über Fair Pay in der Kulturbranche diskutiert – das betrifft die einzelnen Länder ebenso wie den Bund. Wir alle tragen die Verantwortung, wenn es darum geht, Künstler*innen eine gerechte Bezahlung zukommen zu lassen. Auch anstehende Großveranstaltungen waren Thema, wir haben Vizekanzler Andreas Babler jedoch darauf hingewiesen, dass Kultur auch abseits der großen Festivals und renommierten Kultureinrichtungen stattfindet und diese Initiativen und Projekte stärker sichtbar gemacht werden müssen – etwa über die Österreich Werbung. Auch für Tirol im Konkreten ist es mir ein Anliegen, dass Kultur sichtbarer gemacht wird – für die Einheimischen und die vielen Gäste, die zu uns kommen. Diese kommen in erster Linie wegen des Sports, der Kulinarik und Gastfreundschaft, sie kommen jedoch auch, weil sie das Land und die Menschen kennenlernen möchten. Das funktioniert am besten über die Kultur.
Unter anderem war die Museumslandschaft ein Thema der Konferenz. Warum? Ausstellungshäuser und Museen machen eindrücklich bewusst, dass wir in Tirol und Österreich auf einem ganz besonderen Fleckchen Erde leben. Ein Stück weit dienen diese Häuser auch dazu, Tirol von seinen Klischees zu befreien und zu zeigen, wie vielfältig Land und Leute sind. Bei der Konferenz ging es unter anderem darum, professionelle Museumsbeauftragte zu installieren, um vor allem die vielen kleinen, meist ehrenamtlich betriebenen Museen in den ländlichen Regionen zu unterstützen und zu beraten. Wir sind uns dieses Schatzes bewusst. Viele Museen sind ein Teil des Gedächtnisses des Landes Tirol. Hier wird regionale Geschichte aufgearbeitet und dargestellt. Ein Beispiel: Die Ötztaler Museen haben sich dabei kürzlich der Aufarbeitung der dunklen Nazi-Zeit gewidmet. Das finde ich sehr mutig und auch richtig toll, weil es ein Teil unserer Geschichte ist
Im vergangenen Jahr hat Natascha Müllauer im Auftrag der Lebensraum Tirol Holding ein Konzept zu eben jener besseren Sichtbarkeit von Kunst und Kultur erstellt, um die Breitenwirkung des Kulturangebotes zu erhöhen. Das Konzept ist fertig. Wie ist der Status quo? Dieses Projekt war mir sehr wichtig. Vorrangig geht es darum, dass wir Kultur als einen Teil des Lebensraums definieren – deshalb ist das Projekt auch in der Lebensraum Tirol Gruppe angesiedelt. Tirol liegt mit Salzburg und Bregenz zwischen zwei starken Festspiel-Standorten. Mit diesen können und wollen wir nicht in Konkurrenz treten, sondern müssen uns eigenständig positionieren. Die Vielfalt und Qualität in Tirol ist quer durch alle Genres sichtbar – von der Populär- bis zur Traditionskultur, von der Hoch- bis zu Subkultur. Dieser breite Bogen ist ein Ausdruck der Kreativität der Menschen in unserem Land. Ich glaube wohl, dass speziell Alpenbewohner über die Jahrhunderte all ihre Kreativität gebraucht haben, um den Alltag zu bewerkstelligen, und diese Kreativität nun vor allem im Bereich der Kunst und Kultur zum Ausdruck bringen. Der Prozess jedenfalls, den Natascha Müllauer mit all ihrer Erfahrung und ihrem Wissen angestoßen hat, geht permanent weiter.
Die kulturelle Vielfalt scheint in Tirol tatsächlich riesig – auch über die urbanen Zentren hinaus. Ja, und das finde ich sehr schön. Kürzlich fand in Wattens eine Veranstaltung unter dem Titel „Kultur im Dorf und Dorfkultur“ statt, bei der ich den Anwesenden unter anderem einen Satz von Michael Gaismair mitgegeben habe – passend zu 500 Jahre Bauernkrieg in Tirol. Gaismair hat den Ausspruch geprägt: „Reißet die Stadtmauern nieder. Die Menschen am Lande sind dieselben wie in der Stadt.“ Und dasselbe ist mir im Kulturbereich wichtig. Es gibt nicht eine Kultur für die Stadt und eine fürs Land. Es gibt Kultur für alle.
Viele, wenn nicht die meisten Kultureinrichtungen sind von – öffentlichen – Förderungen abhängig. Für Außenstehende wirkt das Förderwesen oft ein wenig undurchsichtig. Nach welchen Kriterien werden Förderungen vergeben und welche Projekte und Initiativen gelten generell als förderungswürdig? Im Bereich des Förderwesens gibt es verlässliche Beiräte, Fachleute und Förderkriterien des Landes. Unter Maßgabe der vorhandenen Mittel wird entschieden, welche Projekte und Initiativen unterstützt werden können. Vorrangig geht es dabei um einen nachhaltigen, gesellschaftlichen Mehrwert. Auch Experimentelles und Modernes findet darin seinen Platz. Das ist eine große Verantwortung für den Kulturreferenten. Zusagen sind immer einfacher als manchmal auch nein sagen zu müssen.
Touristisch wird Tirol nach wie vor stark mit Sport und Natur in Verbindung gebracht. Was braucht es Ihrer Meinung nach, um Tirol auch als Kulturland nach außen zu positionieren? In kaum einer anderen Region liegen Sport, Naturgenuss und Kultur so nah beieinander wie in Tirol. Das kann man durchaus stärker in den Fokus stellen. Nehmen wir Innsbruck: Untertags unternimmt man eine Klettertour oder Wanderung, macht sich im Hotel frisch und besucht anschließend die Promenadenkonzerte oder geht ins Landestheater. Die Möglichkeit zu haben, diese gesamte Bandbreite des Erlebens und des Erlebnisses so nahe zu empfinden, ist beeindruckend und phänomenal. Meine Frau und ich sind selbst gerne auf Reisen. Zum Erholungswert gehört dabei auch eine gewisse Neugierde auf die Kultur eines Landes dazu. Das ist für den Tirol-Gast nicht anders. Ich glaube, hier braucht es noch viel Kommunikation nach außen – von den Verantwortungsträger*innen und im Bereich des Tourismus gleichermaßen. Mir geht es darum, dass die Menschen mehr von Tirol mitnehmen als das imposante Landschaftsbild und das Bewegen in der freien Natur. Unsere Gäste sollen auch in die Kultur eintauchen, so lernt man eine Region viel besser und enger kennen. Dort ist man nahe am Menschen.
Interview: Marina Bernardi
Fotos: Andreas Friedle