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Aufbruch statt Abstieg

4.7.2025

Die Herausforderungen, mit denen sich die Industrie derzeit konfrontiert sieht, sind beileibe nicht neu. Viele davon liegen seit Jahren auf dem Tisch – und nicht wenige sind hausgemacht. Auch die Stellschrauben, an denen es zu drehen gilt, sind bekannt: Bürokratieabbau, eine verlässliche Energiepolitik, Leistungsanreize beim Faktor Arbeit. Passiert ist wenig. Das sieht auch Karlheinz Wex so. Er ist Vorstandsvorsitzender der Plansee Group und Obmann der Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer Tirol und sagt: „Wir müssen als Wirtschaftsstandort den Blick vermehrt auf Länder richten, die mit der aktuellen Gemengelage besser umgehen als wir – und von ihnen lernen.“

Der Beitrag jedenfalls, den die Industrie zum Wohlstand des Standortes Österreich im Allgemeinen und Tirol im Speziellen leistet, ist enorm. Vor allem die Tiroler Industrie hat sich in den letzten beiden Rezessionsjahren überdurchschnittlich robust gezeigt. Damit sie auch künftig eine tragende Säule des Standorts bleibt, braucht es dringend verbesserte Rahmenbedingungen – für die Wirtschaft insgesamt, insbesondere aber für die Industrie. „Die Haltung gegenüber der heimischen Industrie ist nicht die beste“, meint Wex. „Wir arbeiten laufend daran, unser Image zu verbessern, doch offenbar reicht das nicht. Vielleicht haben wir in der Vergangenheit zu wenig klargemacht, wie essenziell die Industrie für Tirol und die gesamte Volkswirtschaft ist. Das muss wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.“ Wir haben mit Karlheinz Wex gesprochen.

eco.nova: 2024 war geprägt von großen wirtschaftlichen Herausforderungen, (importierter) Teuerung, einem nach wie vor anhaltenden Fachkräftemangel und wirtschaftlicher Zurückhaltung. 2025 schaut es nicht wesentlich besser aus. Was bedeutet diese Gemengelage für die heimische Industrie? Karlheinz Wex: Wir befinden uns mittlerweile im dritten Jahr der Rezession und die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs hat weiter abgenommen. Auch die Inflation ist noch immer ein Thema – nach wie vor liegt diese in Österreich rund ein Prozent über dem EU-Durchschnitt. Während andere Länder ihr Inflationsziel von zwei Prozent erreicht haben oder darunter liegen, steht Österreich noch bei rund drei Prozent. Das ist problematisch. Zudem fehlen in Deutschland, einem unserer wichtigsten Exportmärkte, derzeit wirtschaftliche Impulse. Auch frühere Wachstumsmärkte wie China liefern aktuell keine Dynamik und ich sehe diesbezüglich für die nähere Zukunft keine großen Verbesserungen.

Also kein Silberstreif am Horizont? Wenn überhaupt, dann den, dass es nicht schlimmer wird. Die Indikatoren deuten darauf hin, dass wir mittlerweile einen stabilen Boden gefunden haben. Große Nachfrageimpulse sehe ich derzeit nicht.

Welcher Anteil der wirtschaftlichen Herausforderungen ist Ihrer Meinung nach hausgemacht und welcher auf externe Faktoren zurückzuführen? Aus meiner Sicht sind etwa 90 Prozent der Themen hausgemacht. Das betrifft in erster Linie die Bürokratie. Länder mit vergleichbaren Voraussetzungen wie Dänemark oder die Schweiz entwickeln sich wesentlich besser und auch wir waren bis vor rund fünf Jahren auf einem guten Weg. Nun verliert Österreich zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Ich verorte hierzulande auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Industrie. Viele Menschen erkennen nicht, welchen Wohlstand uns der hohe Industrieanteil in der Vergangenheit gebracht hat und welchen Beitrag die Industrie für die Volkswirtschaft leistet.

Hat sich die Politik zu lange auf dem Aufschwung ausgeruht und bestimmte Prozesse verschlafen, weil es viele Jahre lang wirtschaftlich quasi nur bergauf ging?
Österreich hat sich lange sehr gut entwickelt. Dadurch hat man allerdings bestimmte Entwicklungen aus dem Fokus verloren. Das war ein langfristiger und schleichender Prozess und der Weg zurück ist mühsam, weil dafür auch ein kultureller Wandel notwendig ist. Veränderungen, die über Jahre und Jahrzehnte entstehen, lassen sich nicht in wenigen Monaten rückgängig machen oder korrigieren.

Die heimische Industrie ist stark exportorientiert. Welche Auswirkungen hat es, wenn globale Player wie die USA zu derart unberechenbaren Partnern werden, Stichwort Zölle? In der Zollpolitik muss man seinen Blick vor allem in Richtung EU richten, die es in den letzten Jahren verabsäumt hat, Handelsbeziehungen entsprechend auszubauen. Immer wieder wurden unterschiedliche Handelsverträge diskutiert und es war unter anderem auch Österreich, das diese blockiert hat. Die Reaktion der USA ist nicht überraschend. Seit Langem ist unsere Handelsbilanz mit Amerika positiv, wie exportieren also mehr Waren und Dienstleistungen nach Amerika, als wir von dort importieren. Für uns war der amerikanische Markt immer einer, der sich gut entwickelt hat, die Handelsbilanzüberschüsse sind gestiegen und man hat sich nie ernsthaft und ehrlich damit auseinandergesetzt, dass diese Situation zum Problem werden könnte. Nun wird das Land von einem Präsidenten regiert, der sich seiner Macht bewusst ist und mit seinen Entscheidungen über das Ziel hinausschießt. Signale dafür gab es bereits lange. Für exportorientierte Industrien wie die unsere ist die Zollpolitik Amerikas Gift. Planungssicherheit fehlt komplett. Zölle können sich über Nacht ändern, niemand weiß, wie lange sie aufrechterhalten bleiben und inwieweit andere Staaten davon betroffen sind. Das erzeugt Unsicherheit und diese führt in der Wirtschaft fast immer zu weniger Wachstum.

Rund ein Drittel der österreichischen Exporte gehen nach Deutschland. Nun befindet sich auch Deutschland in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase. Wie gefährlich ist es langfristig, wenn die Beziehung zu einem Handelspartner derart ausgeprägt ist? In der Veranlagung spräche man von einem Klumpenrisiko.
 Natürlich würde man sich mit einer breiteren Diversifizierung an Abnehmermärkten wie Indien oder Brasilien deutlich leichter tun. Dafür fehlen jedoch die bereits angesprochenen Handelsverträge, über die in der Vergangenheit zwar geredet wurde, die allerdings nicht zustande kamen. Das rächt sich nun.

Ich entnehme daraus, dass man sich national und international zu sehr auf den guten Zeiten ausgeruht hat. Das fasst es ganz gut zusammen. Man hat sich in vielen Bereichen zu sicher gefühlt. Die Kosten für Löhne und Gehälter steigen ebenso wie jene für Energie – was muss passieren, damit die Industrie wettbewerbsfähig bleibt? Ein zentrales Thema bei den Löhnen ist die sogenannte „Benya-Formel“ (Inflation + Produktivitätszuwachs = Lohnerhöhung), die heute nicht mehr zeitgemäß ist. Ich glaube, wir müssen hier viel mehr differenzieren: Menschen mit niedrigen Einkommen sind viel stärker von der Inflation betroffen als Menschen mit hohem Lohn oder Gehalt. Das müssen wir ausgleichen. Außerdem brauchen wir eine klare Trennung zwischen kollektivvertraglichem und tatsächlichem Lohnniveau. Bezahlen Unternehmen generell deutlich über dem KV, werden sie mit Erhöhungen des Ist-Lohns zusätzlich abgestraft. Das Argument war, mit den hohen Lohn- und Gehaltsabschlüssen die Kaufkraft stärken zu wollen. Das hat allerdings nicht funktioniert, weil die Lohnerhöhungen der letzten zwei Jahre fast ausschließlich in die Sparquote geflossen sind, was in Zeiten der Verunsicherung nicht verwunderlich ist. Auch unser Steuersystem ist ein Problem. Immer wieder wird über Voll- und Teilzeitarbeit diskutiert und dabei die Teilzeitquote von Frauen wegen mangelnder Kinderbetreuung beanstandet. Viel zu wenig gesehen wird allerdings, dass Leute, die Vollzeit arbeiten, vom Steuersystem massiv benachteiligt werden. Wenn man sich anschaut, was netto vom brutto übrigbleibt, ist keine Attraktivität gegeben, Vollzeit zu arbeiten. Das ist auch ein grober Wettbewerbsnachteil beim Recruiting von Beschäftigten – vor allem in Managementpositionen. Wenn man in derselben Position anderswo mehr verdient, wird man sich vermutlich für den anderen Standort entscheiden. Die Lohnkosten sind ein ebenso hausgemachtes Problem wie die Energiekosten. Diese sind in Österreich deutlich stärker gestiegen als in vergleichbaren Ländern. Das liegt nicht an den internationalen Märkten, sondern an nationalen Strukturen – etwa bei Netz-entgelten und Abgaben.

Man hat tatsächlich oft das Gefühl, dass es der Politik an Praxisnähe fehlt. Täuscht der Eindruck? Nein, der täuscht nicht. Unternehmer brauchen pragmatische Entscheidungen. Die Politik versteckt sich jedoch vielfach hinter Gutachten, es fehlt der Mut, zu entscheiden. Das führt oft zu sehr praxisfremden Entscheidungen, da haben Sie völlig recht. Ich erlebe das quasi täglich in meinem eigenen Unternehmen. Das war nicht immer so: Vor allem in Sachen Bürokratie hat sich vieles in die falsche Richtung bewegt. Der Beamtenapparat im administrativen Bereich ist extrem aufgebläht worden. Das führt dazu, dass Entscheidungen immer noch länger dauern.

Wären Sie als Unternehmer nicht schon in Tirol ansässig, würden Sie Österreich als Standort aktuell in Betracht ziehen?
Eher schwierig. Österreich verfügt nach wie vor über eine hohe Lebensqualität und gut ausgebildete Fachkräfte. Auch im Bereich Forschung und Forschungsförderung stehen wir gut da. Die Kostenstrukturen sind allerdings ein Hemmnis, ebenso wie die langwierigen Genehmigungsprozesse. Ein Beispiel: Kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, die untersucht hat, wie lange es in verschiedenen Ländern dauert, bis man eine 1.200 Quadratmeter große Industriehalle genehmigt bekommt. In Österreich dauert das 220 Tage! In Dänemark sind es 50, in Südkorea 20. Das Interessante ist: Das liegt nicht an der Anzahl der Genehmigungsschritte. Es liegt an der Bürokratie und da Dänemark auch in der EU ist, kann man die in diesem Fall nicht dafür verantwortlich machen. Das ist ein nationales Problem.


Die Tiroler Industrie beschäftigt aktuell rund 40.000 Mitarbeiter*innen und generiert eine Wertschöpfung von rund 14 Milliarden Euro. Was bedeutet es für den Wirtschaftsstandort Tirol allgemein, wenn die Industrie schwächelt?
Die Tiroler Industrie hat sich in den letzten beiden Jahren der Rezession erstaunlich gut behauptet. Die Umsätze der Industrieunternehmen sind hierzulande größtenteils stabil geblieben, während sie in Gesamtösterreich um rund 20 Prozent eingebrochen sind. Der allgemein breite Branchenmix und die starke Pharmaindustrie haben uns dabei geholfen. Eine schwache Industrie würde dem Standort massiv schaden. Jeder Industrie-Arbeitsplatz sichert etwa drei bis vier weitere heimische Arbeitsplätze im Bereich der Zulieferer und Dienstleister. Die Gefahr der Abwanderung ist allerdings da. In Österreich gehen aktuell 10.000 bis 12.000 Arbeitsplätze jährlich verloren, weil Unternehmen in andere Länder abwandern. In Deutschland sind es 10.000 pro Monat! Das ist ein Trend, der besorgniserregend ist. In Tirol schaffen wir es derzeit noch, die Zahl der Beschäftigten stabil zu halten, aber auch hier ist das Thema der Abwanderung präsent. Wenn man an einem Standort nicht mehr wettbewerbsfähig ist, muss man sich als Unternehmer umorientieren. Die aktuelle Situation ist ähnlich einem Tanker, der in die falsche Richtung fährt. Ihn wieder auf Kurs zu bringen, braucht Zeit. Die Themen, die es zu bewältigen gilt, liegen auf dem Tisch.

Interview: Marina Bernardi

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