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Tirol und die Welt

4.7.2025

eco.nova: Nach Jahren des „Koste es, was es wolle“ hat der neue Finanzminister Markus Marterbauer eine sehr undankbare Aufgabe: Sparen, sparen, sparen. Woran liegt es, dass Österreichs ökonomisches Erfolgsrezept aus der Vergangenheit plötzlich nicht mehr zu wirken scheint? Jürgen Huber: In den letzten Jahren hat sich einiges aufgestaut. Das Wesentlichste ist, dass Österreich nach Covid das Land mit den höchsten Covidhilfen war. Wir haben in Summe 48 Milliarden Euro – zwölf Prozent unserer Wirtschaftsleistung – in unterschiedlicher Form an Hilfen vergeben, den größten Teil davon an die Unternehmen. Dabei kam die vielzitierte Gießkanne zur Anwendung. Eine Konsequenz von zu viel Geld im Wirtschaftskreislauf ist die Inflation. Als die Pandemie halbwegs überstanden war, Anfang 2022, stieg die Inflation bei uns schon auf über fünf Prozent. Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind die Gas- und in Folge die Strompreise massiv angestiegen. Strom bzw. Energie braucht man für fast alles, so dass höhere Energiepreise die Inflation über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg antreiben. In Österreich ist die Inflation daraufhin auf zwölf Prozent nach oben geschossen.

Das war aber nicht in allen Ländern so? Nein. Spanien hat massiv dagegengehalten und eine Miet- und Strompreisbremse eingezogen und damit die Inflation wesentlich früher nach unten gedrückt. Die Schweiz hat noch besser reagiert und nie eine Inflation über 3,3 Prozent gehabt. Die Schweiz erzeugt so wie Österreich rund drei Viertel ihres Stroms aus Erneuerbaren, vor allem Wasserkraft. Wesentlichster Unterschied: Während bei uns der Rest aus fossilen Brennstoffen kommt, hat die Schweiz Atomkraft, die in der Krise im Gegensatz zum Gas nicht teurer geworden ist. Deshalb steht ein relativ vergleichbares Land wie die Schweiz ganz anders – besser – da als Österreich.

War die Inflation in Österreich nicht auch im EU-weiten Vergleich besonders hartnäckig? Ja, sie lag immer über dem Rest der Eurozone. Die Inflation wird in Österreich von vielen Faktoren angefacht: automatisch steigenden Mieten, Bankspesen, Versicherungen und auch Pensions- und Gehaltsanpassungen, die an die Inflation gekoppelt sind.

Sie nehmen Bezug auf die Index- bzw. Wertsicherungsklauseln, die in vielen Verträgen in Österreich üblich sind? Ja, viele davon sind automatisch und gesetzlich verankert, manche andere quasi ersessenes Recht. Bei uns sind außerdem die Löhne sehr stark gestiegen. Das wäre an und für sich kein Problem, wenn auch die Produktivität in vergleichbarem Ausmaß gestiegen wäre. Ist sie aber nicht. Die Österreicher*innen verdienen heute im Schnitt um ein Viertel mehr als vor einigen Jahren, ohne dabei wesentlich produktiver geworden zu sein. Jeder produzierende Betrieb zahlt damit ein Viertel mehr für dieselben Produkte. Das wäre nicht so schlimm, wenn das in der gesamten Eurozone so wäre, wir sind allerdings an der alleinigen Spitze. Die Deutschen sind um sieben Prozent billiger, die Italiener um 14 Prozent, die Spanier noch einmal mehr. Spanien und Italien sind im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt, Österreich derzeit sehr schlecht.

Was kann man aus dieser Situation für die Zukunft lernen, was die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung betrifft? Inflation ist fast immer ein monetäres Phänomen. Wenn man sie mit immer noch mehr Geld bekämpft, ist das kontraproduktiv. Wir müssen einsparen.

Müssen auch die erwähnten Automatismen durchbrochen werden? Das wäre ganz wichtig. Die Frage ist, wo man sie durchbricht. Wo man unter anderem ansetzen könnte, wären die Mieten. Vermieter*innen hören das zwar ungern, aber jemand, der vermietet, ist per definitionem nicht unter den Ärmsten im Land. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, Ausgewogenheit und – ja – zu einem gewissen Grad auch Umverteilung. Ein weiterer Automatismus, an dem man als Regierung vermutlich ansetzen wird müssen, sind die großen Brocken Pensionen und Beamtengehälter. Das sage ich als Empfänger eines Beamtengehalts. Ein Viertel der österreichischen Staatsausgaben ist der Zuschuss zu den Pensionen. Das ist der größte Hebel, an dem man ansetzen kann. Alle anderen Ausgaben in Bildung und Forschung und dergleichen gehen in unsere Zukunft, da sollten wir nicht sparen – und da ließe sich auch weniger sparen, weil dafür deutlich weniger Geld ausgegeben wird als für Pensionen.

Bei den Pensionen wird gerne das Totschlagargument gebracht, dass man in bestehende bzw. „wohlerworbene Rechte“ nicht eingreifen könne. Wie sehen Sie das? Der Staat gibt sich seine Gesetze selbst und kann sie ändern, wenn er Notlagen erkennt. Gerade in der Pandemie gab es Eingriffe, die man vorher für undenkbar gehalten hatte. Nichts ist unmöglich. Jede Widmung ist ein Eingriff ins Grundeigentum, nur dass dem Grundstücksbesitzer, dessen Grünland man zu Bauland macht, sehr viel Geld geschenkt wird. Auch das ist ein Eingriff. Pensionen werden in Österreich meist mittels Anpassungsfaktor automatisch an die Inflation angepasst. Bei Beamt*innen gab es immer wieder einmal Nulllohnrunden, ich würde das auch für Pensionen ab einer gewissen Höhe anraten. Die kleinen Pensionen soll das nicht treffen, sondern erst ab einer gewissen Höhe, ab der man sich das leisten kann. Wir haben sehr viele solcher Pensionen.

Ist der sogenannte Generationenvertrag, der besagt, dass die Erwerbstätigen die Renten der Pensionierten finanzieren, nicht durch hohe und steigende Bezuschussung aus dem Staatshaushalt hinfällig geworden? Er bröckelt zumindest deutlich – und wir sollten uns klarmachen: Den Generationenvertrag hat nie jemand unterschrieben. Man muss sich fragen, ob er gegenüber der jungen Generation noch fair ist. Die Älteren haben für die Jüngeren zweifellos etwas Tolles aufgebaut. Trotzdem wird eine immer kleiner werdende jüngere Kohorte nicht immer mehr Ältere erhalten können. Fließt jeder vierte Steuereuro in Pensionszuschüsse und nur jeder 15. in Bildung und dergleichen, passt das nicht mehr zusammen.

Diese steigenden Zuschüsse fressen gewissermaßen die Zukunft auf. So kann man das ausdrücken. Wir müssen uns fragen, wofür wir unsere beschränkten finanziellen Mittel ausgeben wollen. Für Zukunftsinvestitionen, darunter Bildung und Infrastruktur, oder für die Versorgung, Pensionen, den Sozialstaat. Das ist immer ein gesellschaftlicher Diskurs, nur frage ich mich, ob ein solcher in Österreich gegenwärtig stattfindet.

Die finanzielle Situation in Bund, Ländern und Gemeinden ist angespannt. Der Fiskalrat warnt schon länger, die Politik hat abgewiegelt und ist erst nach der Wahl scheibchenweise mit der Wahrheit herausgerückt. Als Steuerzahler ärgert es mich und als Bürger untergräbt es mein Vertrauen in die Politik, wenn der verantwortliche Finanzminister Magnus Brunner dafür mit einem Topjob in Brüssel belohnt wird. Ich glaube, dass das viele Beobachter*innen der Lage empört, denn es ist auch empörend. Als Bürger bin ich mir ziemlich sicher, dass der damalige Finanzminister durchaus gewusst hat, dass sich ein Defizit unter drei Prozent nicht ausgehen wird. Die exakten Zahlen sind schwer zu eruieren. Die Budgetsituation ist jedenfalls ernst und viel schlechter, als sie vor der letzten Nationalratswahl dargestellt wurde. Das ist ärgerlich, politische Konsequenzen wird es aber wahrscheinlich keine geben.

EUROPÄISCHE PERSPEKTIVEN

Europa verliert seit 2010 kontinuierlich an Boden, was den Anteil am Welt-BIP betrifft ebenso wie bei der Marktkapitalisierung europäischer Unternehmen. Woran liegt’s? Europa hat nach der Finanzkrise 2008 leider auf die falschen Industrien gesetzt. Wir haben auf Old-Tech – Verbrennungsmotoren, Stahl, Banken – gesetzt, während die USA auf Hightech und Plattformökonomie einerseits und auf Fracking andererseits gesetzt haben. Damit haben es die USA geschafft, sich energiemäßig unabhängig zu machen und sogar zu einem großen Energieexporteur zu werden. Europa hat sich abhängig gemacht, vor allem von Russland. Wir importierten 2022 mehr als die Hälfte unserer Energie. Old-Tech und Energieabhängigkeit sind ein toxischer Mix. In der Sicherheitspolitik waren wir Trittbrettfahrer der USA und viele unserer früheren Industriekapazitäten haben wir nach China ausgelagert. Wir haben unser Wachstum nach China, unsere Energieversorgung nach Russland und unsere Sicherheit nach Amerika ausgelagert. Alle drei Säulen bröckeln ganz massiv. Der chinesische Wirtschaftsmotor stottert, die USA sind – das weiß man nach ein paar Monaten Trump – kein verlässlicher Partner mehr, und Russland ist mehr Bedrohung als Partner. Die USA haben – teils durch Plan und teils durch Glück – das Gegenteil von Europa gemacht. Sie haben auf die richtigen Pferde gesetzt, und die Wette ist aufgegangen. Europa spielt im Konzert der größten und wertvollsten Unternehmen, heute sind das Datenunternehmen, faktisch keine Rolle mehr. Daten sind heute der wertvollste Rohstoff, und wir haben den Übergang zur Datenökonomie völlig verschlafen. Wir sind heute eine Datenkolonie, die ihre Daten gratis in die USA liefert, wo die Wertschöpfung passiert. Apple und Microsoft erzeugen mehr Wertschöpfung als die gesamte europäische Tourismusindustrie. Das ist ernüchternd.

Wie sieht es mit der Marktkapitalisierung der europäischen Unternehmen aus? Die Marktkapitalisierung ist ein Spiegel dieser negativen Entwicklungen. 2007 lagen Europa und die USA mit jeweils gut 30 Prozent der Weltmarktkapitalisierung noch gleichauf, heute liegen die USA bei 60 Prozent und Europa bei 15. Die wertvollsten Unternehmen sind in den USA. Tesla allein ist mehr wert als die gesamte europäische Autoindustrie.

Das ist allerdings ein Phänomen, das schwer zu begreifen ist. Tesla ist bei Licht betrachtet ein mittelmäßiger Autobauer, der lange kein Erfolgsprodukt mehr hergestellt hat und mittlerweile von den chinesischen Herstellern – ebenso wie von den meisten Europäern – technologisch überholt wurde. Das seit Jahren versprochene Feature Full-Self-Driving ist Vaporware, die Aktie, völlig losgelöst von der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens, erinnert an Meme Stock. Wie geht das? Das ist für Europa vielleicht so etwas wie ein Hoffnungsschimmer und Indiz dafür, dass vieles in den USA auf tönernen Beinen steht. Tesla ist mit Blick auf die rohen Zahlen massiv überbewertet. Die europäische Autoindustrie weist durchwegs bessere Zahlen auf. In der Tesla-Aktie sind massive Wachstumserwartungen eingepreist. Nachdem sich Elon Musk Trump angebiedert hat, sind die weltweiten Verkaufszahlen von Tesla massiv eingebrochen.

Was kann die EU tun, um ein größeres Stück vom Kuchen zu bekommen? Europa sollte danach trachten, eigene Digitalkonzerne auf den Weg zu bringen, oder zumindest eine ordentliche Digitalsteuer einführen. Warum lassen wir Amazon unsere Buchhandlungen und viele andere Einzelhändler kaputtmachen? Warum erlauben wir, dass Apple, Alphabet und Meta ihre Gewinne über Steuerkonstrukte in Irland fast steuerfrei halten können? Die EU hätte Hebel, tut aber oft nichts, weil es Partikularinteressen gibt. Europa muss stärker mit einer Stimme sprechen und handlungsfähiger werden. Trump und Russland sollten uns diese Notwendigkeit eigentlich ausreichend klargemacht haben. Dafür gehört in vielen Bereichen das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft. Viele haben das mittlerweile verstanden, einige leider noch nicht.


Interview und Fotos: Marian Kröll

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