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Wirtschaft

Ich arbeite, also bin ich

7.9.2021

Die Geschichte der Arbeit ist eine wechselvolle, ein Nebeneinander von Kontinuitäten und Brüchen. Mit dem Begriff Arbeit war ursprünglich der Prozess der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zum Zweck der unmittelbaren Existenzsicherung gemeint. Sie war geschichtlich betrachtet über weite Strecken – besonders in der Antike und im Mittelalter – negativ konnotiert und eine Angelegenheit der unteren sozialen Schichten gewesen. Erst das Christentum verlieh der Arbeit, ehedem ein Synonym für Plage, Mühsal, Last und Not, eine positive Bedeutung. Der fortschreitenden Arbeitsteilung und der damit einhergehenden Geldwirtschaft und späteren Industrialisierung kam dieser Sinneswandel natürlich zupass. 


Sinnsuche

Arbeit darf heutzutage viele unterschiedliche Gesichter haben. Nur Langeweile darf in der Arbeitswelt nach wie vor nicht so recht aufkommen. Das könnte ein Grund sein, warum die heutige Arbeitswelt, geht es nach dem 2020 verstorbenen Kulturanthropologen David Graeber, einiges an Speck angesetzt hat. Es gibt, wie Graeber festgestellt hat, Jobs, deren Daseinsberechtigung sich darin erschöpft, hektische Betriebsamkeit zu simulieren, wo es eigentlich bei Licht betrachtet kaum etwas zu tun gibt. „Bullshit-Jobs“ hat Graeber diese Arbeitsplätze einprägsam genannt und ein mit steilen Thesen gespicktes Buch darüber geschrieben, mit dem sich eine erstaunlich große Anzahl an Menschen identifiziert haben dürfte. Das Buch wurde dementsprechend ein Bestseller.

Niemand sollte mit seinem Job die Welt retten müssen, ebenso wie sich niemand im Vakuum der selbst zugeschriebenen Nutzlosigkeit beschäftigen oder zumindest beschäftigt tun sollte. Den eigenen Wirkungsbereich mit Sinn zu füllen bleibt aber letztlich jedem Beschäftigten selbst überlassen. Es scheint jedenfalls erforderlich, dass dem Individuum, welches eine gewisse Arbeit zum Erwerb des Lebensunterhalts zu verrichten hat, dies zu einem Mindestmaß sinnvoll erscheint. AMS-Tirol-Landesgeschäftsführer Alfred Lercher meint diesbezüglich: „Meine Erfahrung ist, dass es für die allermeisten Menschen wichtig ist, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen. Einer Arbeit, die auch Spaß macht und bei der es klare Aufgabenbeschreibungen, faire Entlohnung und Regelungen gibt. Fast alle sagen, dass ein gutes Betriebsklima wichtig ist, um dauerhaft motiviert zu bleiben. Da sind wir nicht unbedingt bei der Selbstverwirklichung, aber es geht bei einem Arbeitsverhältnis schon immer um mehr als nur um einen finanziellen Deal zwischen Chef und Arbeitskraft. Fast jeder Job kann erfüllend sein, wenn es der richtige ist für die Person, die ihn ausübt – und wenn der Rahmen passt. Hier schauen die Menschen mit gutem Recht genauer hin – und das ist wahrscheinlich auch das Rezept für ein gutes und motivierendes Miteinander in der Arbeitswelt.“ 


Zwischen GAU und Vorkrisenniveaus

Die Arbeitswelt ist durch die Coronakrise zwar anscheinend nicht nachhaltig aus den Fugen geraten, aber dennoch ist nicht alles wie immer, findet Lercher, der bei allen negativen Auswirkungen auch Gutes findet: „Die Arbeitswelt hat im positiven Sinn auch einen Digitalisierungsschub erlebt – Abläufe und Kommunikation wurden durch den Einsatz digitaler Tools effizienter und auch flexibler, Homeoffice wurde flächendeckend erprobt. Für Tirol ist das besonders wertvoll, weil gerade im ländlichen Raum Arbeitnehmer von flexiblen Arbeitsformen auch in Zukunft profitieren werden. Wie stark diese Erfahrungen die Arbeitswelt verändern, wird erst die Phase nach Corona zeigen. Wir gehen aber davon aus, dass eine solche Krise längerfristig auf die innerbetrieblichen Abläufe wirken wird.“ Lercher vermutet auch, dass der Druck auf Arbeitskräfte stärker werden könnte, da vieles transparenter und kontrollierbarer werde. „Auf der anderen Seite schauen die Arbeitnehmer aber nun auch etwas kritischer auf ihr Arbeitsleben. Manche planen Weiterbildungen und Ausbildungen, um dadurch krisensicherer im Job zu werden. Die vielen Monate in Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit waren für viele sehr belastend“, weiß Lercher. Eine dauerhafte neue Normalität am Arbeitsmarkt erwartet er dagegen nicht: „Meist ist es so, dass sich vieles recht schnell wieder einpendelt, wenn die Rahmenbedingungen wieder die alten sein werden. Es wird wahrscheinlich auch jetzt recht schnell gehen mit der Rückkehr zur ‚alten‘ Normalität. Aber in allen Belangen wieder völlig zum Alten zurückzugehen, finde ich persönlich kontraproduktiv und auch nicht erstrebenswert.“

Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass der Arbeitsmarkt zwar eine große Dynamik entfalten kann, die Arbeitswelt mit ihren Usancen aber erstaunlich stabil ist und sich rasch wieder ihrem Ausgangszustand annähern kann. Die Digitalisierung hat coronabedingt einen ordentlichen Schub bekommen, davon abgesehen hat sich relativ wenig verändert. Die rasche Entstehung immer neuer Berufsbilder wird zwar schon seit Jahrzehnten regelmäßig angekündigt, vollzieht sich in der Realität aber gemächlicher. Der Sinnfrage wird in beruflichen Kontexten zwar mehr Platz eingeräumt, aber längst ist sie nicht das dominante Motiv, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Paradigmenwechsel ist also vorerst keiner in Sicht, ein kontinuierlicher und behutsamer Wandel ist dagegen sehr wohl im Gange.

Text: Marian Kröll


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