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Zukunft

Follow the Leader

1.7.2022

Die Zeiten, in denen man mit Arbeit reich werden konnte, sind vorbei. Vielleicht hat es sie auch nie wirklich gegeben. Das mag ein Mitgrund sein, warum das Ge-
halt der nicht mehr wirklich ausschlaggebende Grund dafür ist, sich seinen Arbeitsplatz auszusuchen. Viel- mehr geht es um Sinnstiftung, Orientierung und die
viel bemühte Work-Life-Balance, die mittlerweile zum Work-Life-Blending wurde.

Fakt ist: Die Arbeitswelt ist – wie vieles – im Umbruch. Arbeit wird flexibler, unabhängiger. Nicht nur in Bezug auf die Arbeitszeit. Nine-to-five ist nicht mehr. Oder nur noch selten und in bestimmten Branchen. Auch das Machtverhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer kehrt sich immer mehr um. Der akute Fachkräftemangel führt dazu, dass sich die guten Köpfe ihre Jobs aussuchen können und nicht wie früher der Arbeitgeber aus vielen Bewerbern den passenden herauspicken durfte. Mit der sich weiter ausbreitenden Start-up-Kultur kommt über diese eine neue Unternehmensgattung hinzu. Eine noch schnelllebigere, innovativere, offenere. All dies schafft neue Arbeitsrealitäten, auf die sich Arbeitgeber und -nehmer ebenso einstellen müssen wie die Führung.

Gab es früher den Vorgesetzten, der Arbeit quasi von oben oktroyierte, geht es heute vermehrt um Leadership, darum, Mitarbeiter zu entwickeln, fachlich wie persönlich, sie zu fordern und zu fördern und ihnen Rahmenbedingungen vorzugeben, innerhalb derer sie sich frei bewegen können. Das gilt nicht immer, aber immer öfter. Das setzt Vertrauen voraus, dergestalt, dass man seinen Mitarbeitern zutraut, Dinge eigenständig zu lösen, ohne sie ständig zu kontrollieren (das Homeoffice verstärkt dies zusätzlich), aber auch Vertrauen in sich selbst. Das wiederum braucht die Beschäftigung mit der eigenen Person, um als Führungskraft überhaupt erst zu wissen, wo die eigenen Stärken – und Schwächen – liegen und wo die (Unternehmens-)Reise hingehen soll. Je individueller die Wege sind, desto klarer muss das Ziel sein.

Führung hat sich verändert, ist persönlicher geworden, auch achtsamer. Und Führung ist ein Job. Ein eigenständiger. Das merkt man spätestens dann, wenn man als Teil eines Teams in die Führungsebene gehievt wird. Nur weil jemand fachlich gut ausgebildet und für seine Aufgabe geeignet ist, heißt das nicht automatisch, dass er auch eine gute Führungskraft ist. Nicht jeder kann Führung. Und vor allem: Nicht jeder WILL führen. Doch nach wie vor kennen Karrierewege heutzutage meist nur eine Richtung und die führt nach oben. So passiert es, dass Mitarbeiterplötzlich in die Situation kommen, führen zu „müssen“.

PLÖTZLICH FÜHRUNGSKRAFT

Die krafting akademie mit Standorten in Innsbruck und Wien beschäftigt sich unter anderem mit dem Coaching von Führungskräften und das aus guten Gründen. Mag. Herbert Bauer: „Das Problem ist, dass in den wenigsten Unternehmen die Fähigkeit zur Führung überprüft wird. Es gibt auch praktisch keine Ausbildungsstätten dafür, dennoch muss manFührung lernen. Fachliche Kompetenz und Führungskompetenz sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. In unseren Coachings geht es darum, in erster Linie die Talente, Fähigkeiten und Stärken der Führungskräfte herauszuarbeiten, damit sie erkennen, welche Art von Führungskraft sie überhaupt sein wollen und können.Gerade wenn jemand aus einem Team heraus plötzlich zum Vorgesetzten wird, ist oft die Angst des Versagens da. Wie sehen mich meine Kollegen, was erwarten sie von mir, was passiert, wenn ich eine Fehlentscheidung treffe? Nur wenn man weiß, wer man ist und wo man hin möchte, kann man auch gut führen. Das allerdings wissen die wenigsten und das gilt es, herauszufinden.“

Neben der persönlichen Entwicklung gehe es bei Führungsaufgaben auch um ganz praktisch-pragmatische Ansätze wie Selbstmanagement und -organisation. „Nur wer selbst in seiner Mitte ausgeglichen ist, kann auch andere gut führen“, sagt Britta Lorenz, die mit ihrem Unternehmen „Be Human“ unter anderem Businesscoachings anbietet, im Interview. „Sich seine Zeit einzuteilen, ist für viele eine echte Herausforderung. Dies liegt daran, dass man das Gefühl hat, seinem Team jederzeit zur Verfügung stehen zu müssen, was sich nur schwer mit anderen Aufgaben vereinbaren lässt. Wenn man ständig für andere da ist, wird es schwierig, seine eigenen Aufgaben zu erledigen. Letztlich geht es um Kommunikation: Durch den Austausch und das Einholen von Feedback kann rasch gelernt werden, wie man sein Team effektiv führen kann. Insgesamt ist die Beförderung zur Führungskraft etwas Neues, eine Herausforderung, die jedoch mit der Zeit, Kommunikation und Verständnis bewältigt werden kann. Die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen sind Empathie und emotionale Intelligenz und ja, auch das kann man lernen und stärken.“

ARBEIT IST KEIN PONYHOF

Natürlich gibt es sie noch, die ganz klassischen Unternehmenshierarchien mit klar abgegrenzten Aufgabenverteilungen. „Die Führungsaufgabe hängt stark von der Größe des Betriebes ab und davon, ob dieser vomUnternehmer selbst oder von einem externen Managergeführt wird. Bei Letzterem hängt oft der eigene Verbleib im Unternehmen vom wirtschaftlichen Erfolg ab.Er wird sich also völlig anders verhalten als jemand, der den Betrieb langfristig weiterentwickeln will. Auch die Art des Unternehmens spielt eine Rolle: Ist es eininnovativer Betrieb, der darauf angewiesen ist, dass durch das Zusammenwirken der Mitarbeiter etwasNeues entstehen kann, oder handelt es sich um einen Betrieb, in dem die Spitze einfach will, dass alles – wie bisher – funktioniert. Ich würde folglich nicht von einer generellen Veränderung der Führungskultur sprechen, sondern es auch von Art und Zweck des Unternehmensabhängig machen wollen, ob ein eher kooperativer oderautoritärer Führungsstil gewählt wird. Aber: Es zeigt sich, dass ein Umdenken im Führungsbereich stattfindet, weil für immer mehr – potenzielle – Arbeitskräfte das Betriebsklima und die Unternehmenskultur eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Die Führungskraft leistet dazu einen wesentlichen Beitrag“, so Herbert Bauer, undKarin Bauer ergänzt: „Ich erlebe in meinen Beratungen immer wieder, dass im Allgemeinen ein Wunsch nachflacheren Hierarchien gegeben ist. Mitarbeiter möchten mitentscheiden, das motiviert. Das stellt Führungskräfte aber natürlich vor Herausforderungen, weil es nichtmehr darum geht, einfach Anweisungen zu geben, sondern Ziele, Wege und Lösungen gemeinsam zu erarbeiten. Das ist ein neues Verständnis der Führungsaufgabe und das muss man entwickeln.“

Die immer flacher werdenden Hierarchien haben durchaus ihre Vorteile. Es schafft in der Regel eine an-genehmere Arbeitsatmosphäre, wenn sich Mitarbeiter auf Augenhöhe begegnen, das Teamwork wird gestärkt, die Entscheidungswege sind kürzer, womit Reaktionen flexibler erfolgen können. Flache Hierarchien ermöglichen eine schnellere und direkte Kommunikation und eine höhere Partizipation der Mitarbeiter. Es lauert je-doch auch eine Crux. Ein allzu lockerer und freundschaftlicher Umgang kann leicht dazu führen, dass man dieBeziehung eben als genau solche definiert: Freundschaft nämlich. Und das ist sie nicht. „Obwohl viele Führungskräfte einfühlsam und empathisch sein wollen, bin ichpersönlich der Meinung, dass man Grenzen setzen muss.Auch wenn es schwierig sein mag“, so Britta Lorenz. Was nicht heißt, dass man seinen Mitarbeitern nicht mit Empathie und echtem Interesse begegnen soll, weitgehend ein freundschaftlicher ist, macht es dann nicht einfacher. Entscheidend ist auch hier die Kultur –in dem Fall nicht die des Unternehmens, sondern jene der Freundschaft. Kann ich miteinander offen umgehen und Dinge ehrlich ansprechen, ohne dass mir der andere (privat) böse ist?

Besonders wenn die Mitarbeiterzahl wächst und neue Leute zu einem eng verwobenen Team stoßen, kann es knifflig werden. Müller: „Man beginnt als kleines Team, das sich für gewöhnlich gut kennt, es kommt der ersteMitarbeiter, der meist Teil dieses Freundschaftskreises, des Inner Circles, wenn man es so nennen will, wird. Wächst das Team, ist es irgendwann nicht mehr möglich, mit allen gleich gut befreundet zu sein, beziehungsweise will es auch der Mitarbeiter gar nicht. Der will einfach seine Arbeit machen.“ Schlussendlich gilt auch für Start-ups: Eine Führungskraft hat die Aufgabe, zu führen. Im besten Fall hat sie auch die Kraft dazu.

Start-ups haben dabei das Glück, vorwiegend Mitarbeiter anzuziehen, die in der Art und Weise des Arbeitens und Lebens ähnlich ticken wie sie selbst. Die agile Unternehmenskultur des New Work macht es den Start-uppern leichter, ihre Mitarbeiter zu führen, weil sie meist keine Vergleichsmöglichkeiten haben. Entweder sie kommen aus demselben Umfeld oder es ist ihr erster Job. Sie sind es also gewohnt oder kennen es nicht anders, flexibel zu arbeiten, bisweilen vielleicht ein wenig chaotisch. Jemand, der aus klassischen Strukturen als Arbeitnehmer in ein Start-up wechselt, wird es schwerer haben. Das Start-up als Arbeitgeber übrigens auch. Dasselbe gilt umgekehrt, so Müller: „Kommt es in einem Start-up zum Exit und wird es in ein größeres Unternehmen integriert, passiert es oft, dass die besten Köpfe das Unternehmen verlassen, weil sie mit der neuen Unternehmens- und/oder Führungskultur nicht klarkommen. Viele haben ein Problem, sich daran anzupassen, und tun sich schwer damit, sich in ein System einzufügen.“ Was das für die Zukunft heißt, wird sich zeigen.

Text: Marina Bernardi

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