Dem seriellen Bauen bzw. dem industriellen Wohnungsbau kam insbesondere nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Funktion zu. Die Wohnungsnot war groß, der Wiederaufbau musste schnell gehen. Im Sozialismus feierte die Serienproduktion auch nach den ersten Nachkriegsjahren noch fröhliche Urständ. Der Plattenbau war in der DDR das Maß der Dinge. Diesen hat man schlechterdings auch heute noch vor Augen, wenn es ums serielle Bauen geht. Geschwindigkeit und Kosteneffizienz wurden wichtiger genommen als Qualität und Ästhetik. Durch Modul- und Elementvorfertigung umschiffte man zudem den Fachkräftemangel, der mitnichten ein neues Phänomen ist.
Die Motivlage für die serielle Fertigung hat sich im Laufe der Zeit gar nicht wesentlich geändert. Billiger und schneller möge das Bauen werden, so lautet auch heute der Wunsch. Die tatsächliche Kostenersparnis durch serielles Bauen ist allerdings umstritten, die Bandbreite ist groß, bei so mancher Kalkulation scheint auch Wunschdenken mitzuspielen. Theoretisch ergeben sich durch die industrielle bzw. serielle Vorfertigung Kostenvorteile, die es allerdings erst einmal über die Ziellinie zu retten gilt, so dass das Bauen unterm Strich tatsächlich signifikant günstiger wird. Die Idee, in Serie zu bauen, lässt sich gut mit dem in Walter Gropius’ Bauhaus von dessen Nachfolger Hannes Meyer ausgegebenen sozialen Anspruch verbinden: „Volksbedarf statt Luxusbedarf“. Dieser Slogan ist von zeitloser Aktualität, denn auch im Hier und Jetzt wird vielerorts am Bedarf vorbei gebaut. Ob das vonseiten der Bauträger bewusst so gemacht wird – Stichwort Betongold – oder unabsichtlich, ist eine andere Diskussion. Meyer räumte der Befriedigung der Grundbedürfnisse, allen voran des Wohnbedürfnisses, Vorrang vor künstlerischen Überlegungen ein. Dessen berühmter Nachfolger Ludwig Mies van der Rohe legte dagegen den Schwerpunkt klar auf die Ästhetik. Serielles Bauen ist nicht per se hässlich und muss nicht unbedingt Anonymität und Sterilität aus Betonfertigteilen, aufgefädelt zu trostlosen Trabantenstädten, bedeuten. Es soll außerdem auch gar nicht wenige Einzelbauten geben, die außerordentlich geschmacklos und hässlich sind und aufdringlich aus der sie umgebenden Landschaft hervorstechen.
Wiederholung als Gestaltung
Auch das Thema Wiederholung ist in der Architektur keineswegs neu. In den 1920er-Jahren konstituierte sich in Mailand eine Bewegung, die später als „razionalismo“ bekannt werden sollte. Die Proponenten dieser Strömung waren überzeugt, dass sich Architektur an die Ordnung der Vernunft halten müsse. Sie propagierten einen „reinen Rhythmus“, der sich an der seriellen Wiederkehr einzelner Elemente als gestalterischer Grundlage orientierte. Repetitive Strukturen prägen das ästhetische Erscheinungsbild von Gebäuden und sind darüber hinaus oftmals für komplexe Planungs- und Bauprozesse maßgeblich – etwa als Kombination einzelner Module oder anderer industriell vorgefertigter Elemente.
Der Wohnungsmarkt ist gerade in städtischen und stadtnahen Lagen heute schon prekär. Es wird nach wie vor individuell geplant und ausgeführt, obwohl an und für sich bereits standardisierte Angebote und Bauverfahren zur Verfügung stünden. Die Vorfertigung beschränkt sich bis heute auf Fertig- oder Halbfertigteile raumbildender Bauteile, die technische Gebäudeausrüstung wird auch weit überwiegend vor Ort in Handarbeit vorgenommen. Diese alten – und vielleicht sogar bewährten – Praktiken führen aber zu an und für sich vermeidbaren Fehlerkosten, die letztlich auf den Endpreis durchschlagen.
Enorme Zeitersparnis
Wir haben mit Hanno Vogl-Fernheim, Architekt und Präsident der Kammer der Ziviltechniker*innen für Tirol und Vorarlberg, über das serielle Bauen und dessen Chancen und Herausforderungen gesprochen. In der Betrachtung des Status quo stelle sich die Frage, wie weit die serielle Fertigung hierzulande bereits gehe. „Hybridbau, eine Mischbauweise aus Beton- und Holzbau, die die Vorzüge beider Bauweisen und Materialien miteinander kombiniert, ist gerade bei sozialen Wohnbauträgern schon sehr verbreitet“, weiß Vogl-Fernheim. „Die komplette Vorfertigung von Modulkörpern in industriellen Prozessen in Fabriken ist aber noch ungewöhnlich. In Österreich, Deutschland und der Schweiz gibt es aber schon einige Anbieter und speziell im Hotelbau tut sich in dieser Hinsicht in Europa schon recht viel. Modulbauweise ist speziell bei vorgefertigten Badezimmern schon seit Jahren eine Option, auf die wir bei einem Projekt im Seniorenheim Absam bereits gesetzt haben.“ Die Badezimmermodule würden vorgefertigt und an der Baustelle nur noch an Wasser-, Abwasser- und Stromleitungen angeschlossen. „Die Vorfertigung fasziniert mich, weil sie theoretisch rund um die Uhr stattfinden kann und man beim Einbau von Modulen auf der Baustelle nicht der Witterung ausgesetzt ist. Die Zeitersparnis auf der Baustelle ist dadurch enorm“, sagt Vogl-Fernheim, der die Potenziale des seriellen Bauens mit der Autoindustrie vergleicht. „Würde man Autos heute noch so bauen wie wir derzeit noch Häuser, dann würden sie ein Vermögen kosten und dadurch völlig unleistbar werden. Fokussiert man sich auf Modulbauweise und geht damit in die Serienfertigung, lässt sich eine konstant hohe Qualität bei gleichzeitiger Einsparung bei der Materialität und Arbeitszeit erreichen.“
Doch dazu gilt es, vorher gute Entwicklungsarbeit zu leisten, denn andernfalls multipliziert man nur den Pfusch. „Die Planung ist extrem wichtig, weil man auf der Baustelle nicht improvisieren und nichts mehr ändern kann. Die Module kommen just in time dort an und müssen umgehend eingebaut werden.“ Beim seriellen Bauen muss man mehr vor- als nachdenken, könnte man auch polemisch sagen. Der Architekt sieht auch großes Potenzial für Automatisierung, wieder analog zur Autoindustrie, wo der Schweißroboter schon in den 1960er-Jahren den schwitzenden Menschen abgelöst hat.
Lego-Architektur?
Wird in großem Stil modular geplant und gebaut, verändert sich auch die Rolle der Architekt*innen. Ob dadurch etwas Essentielles in der Architektur oder vielmehr im Beruf des Architekten verloren zu gehen droht, ist zumindest diskussionswürdig. „Ich habe meine Probleme damit“, räumt Hanno Vogl-Fernheim ein. „Man arbeitet in einem Baukastensystem, wie beim Legospielen. Es gibt eine begrenzte Anzahl an Steinen, die man zum Bauen verwenden kann, etwas anderes gibt es dann einfach nicht. Punkt.“ Außerdem ist der Architekt von der Qualität diverser Fertigteile auf Grundlage eigener Erfahrungen aus der Vergangenheit noch nicht restlos überzeugt. Doch wie man weiß, ändert sich die Qualität mit der produzierten Menge – zunächst meist zum Besseren.
Die Grenzen des technisch und kostenmäßig vernünftig Umsetzbaren sind beim seriellen Bauen enger als beim individuellen. Das setzt auch dem Gestaltungsspielraum Grenzen. Vogl-Fernheim nennt als negatives Beispiel ein, zwei oder maximal drei vorab genau definierte, vorgefertigte Balkontypen. „Das hat natürlich einen großen Einfluss auf die Architektur. Durch solche vordefinierten Elemente ist man in der Gestaltung eingeschränkt“, erklärt der Kammerpräsident, der diesen Umstand mit dem Plattenbau assoziiert. Der Vorfertigung sind auch durch logistische Herausforderungen Grenzen gesetzt, denn nur das, was letztlich auch auf den Straßen und auf der Schiene transportiert werden kann, erreicht die Baustelle. Modulare und serielle Bauformen hält Vogl-Fernheim für temporäre Unterkünfte und Ausweichquartiere für sehr gut geeignet, da diese Gebäude verhältnismäßig schnell errichtet und ebenso wieder rückgebaut werden können. Hanno Vogl-Fernheim hegt indes nicht die Befürchtung, dass Architekt*innen durch das Voranschreiten des seriellen Bauens obsolet werden könnten. „Es wird immer Planung brauchen und Kreativität. Ich habe von daher keine Angst, dass uns dieser Trend überrollt und wir Architekt*innen arbeitslos werden“, sagt er.
Die Essenz der Architektur
Der gebaute Raum bietet uns nicht nur Schutz, Sicherheit und Orientierung, sondern er beeinflusst auch, wie der Mensch ist, der ihn bewohnt. Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Architektur als Raumgestaltung ist ein menschliches Grundbedürfnis, Architektur als Kultur eine Denkmöglichkeit. Ein hehrer Anspruch, der beim individuellen Bauen sehr häufig nicht eingelöst werden kann. Was ist überhaupt Architektur? Der österreichische Architekt Hans Hollein formulierte das in seinem Vortrag „Zurück zur Architektur“ bereits Anfang der 1960er-Jahre so: „Sie ist ein geistiges Ereignis. Sie ist ein sinnliches Ereignis. Sie ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Sie ist Bauen, um zu bauen, abstraktes Bauen. Architektur ist eine geistige Ordnung, verwirklicht durch Bauen.“ Einverstanden?
Billigeres und serielleres Bauen ist gewiss keine Garantie für Hässlichkeit, aber schöner wird’s dadurch auch nicht von allein. „Die Verbilligung der Häuser hat sie nicht schöner gemacht, sondern schäbiger: Der Bauschmuck wurde seriell produziert, vulgär oder gar ganz weggelassen, die Fertigteile wurden gestalterisch dominant und prägten die Häuser mit ihrer additiven Beliebigkeit, Fenster und Türen von der Stange verliehen noch dem elegantesten Bau eine universelle Klobigkeit. Und vor allem: Die Ästhetik des Klapprigen ist zur allgegenwärtigen Metapher einer Wegwerfarchitektur geworden, deren allmählichen Zerfall man Jahr für Jahr miterleben kann. Billig ist auf längere Sicht zu teuer, sozial diskriminierend und nahezu ausnahmslos hässlich“, schreibt Vittorio Magnago Lampugnani, Architekt und Professor für Geschichte des Städtebaus. Er lässt kaum ein gutes Haar an den Fertigteilen, will aber auch vom Überfluss nichts wissen: „Was nicht bedeutet, Luxus sei ausnahmslos schön; im Gegenteil. Architektur gewinnt fast immer, wenn sie sich auf die Essenz besinnt, wenn sie einiges, was im Entwurf vorgesehen war, aufgeben muss. So entstehen die vielleicht schönsten Bauten; aber billig, wirklich billig im vordergründigen Sinn sind sie nicht.“ Der Spruch „Wer billig baut, baut zweimal“ ist weniger ausgefeilt, geht aber argumentativ auch in diese Richtung.
Gänzlich etwas anderes ist es, das enge Normenkorsett aufschnüren zu wollen, wie es in Deutschland mit dem Gebäudetyp E – das E steht wahlweise für einfach oder experimentell – geschehen ist. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in Österreich. „Du verzweifelst mittlerweile beim Planen, weil so viele Normen und Bestimmungen einzuhalten sind“, sagt Vogl-Fernheim, der für mehr Logik und Eigenverantwortung plädiert. Der Vorfertigungsansatz des seriellen Bauens ist damit durchaus kompatibel.
Kreativität in Serie
Hanno Vogl-Fernheim ist der Meinung, dass Kreativität und serielles Bauen sich nicht ausschließen. Er glaubt, dass man auch beim seriellen Bauen kreativ sein und Qualität schaffen kann, wenn man die Möglichkeiten nutzt. „Es ist unsere Aufgabe, aus den gegebenen Umständen und Ressourcen das Beste zu machen.“ Die Essenz der Architektur kann auch in der Serie wirken. Serialität hat zudem das Zeug dazu, eine neue Ästhetik zu prägen, wenn man offensiv mit ihr umgeht und nicht versucht, sie zu verstecken. Das gelingt nämlich ohnehin nicht und macht einen verschämten Eindruck. Schließlich hat auch der Brutalismus nicht versucht, seine Knochen aus Stahlbeton vor den Beobachter*innen und Bewohner*innen zu verstecken, sondern seine ungeschminkte Rohheit zum Stil erhoben. „Oft ist der Rohbau, bevor er verkleidet wird, das eigentlich Interessante und Spannende“, sagt Vogl-Fernheim, der die oft beliebige Verkleidung dieser Baukörper bedauert. „Es ist gut, ehrlich zu zeigen, womit man baut.“
Das Bauen von der Stange steht, so die Einschätzung Vogl-Fernheims, der Berücksichtigung der räumlichen und ortstypischen Umstände nicht im Weg. Sofern es seitens der Ausführenden eine entsprechende Sensibilität für die Umgebung – den Genius Loci, wenn man so will – gibt. Es gehört nämlich auch zu den grundlegenden Aufgaben von Architekt*innen, Ortsbezug herzustellen. Ein Baukörper ist kein Prestigeobjekt, das im luftleeren Raum steht. Ein Gebäude muss in der Umgebung wirken und „funktionieren“. Raumordnung und -planung, Widmungen und Bebauungspläne sorgen meist dafür, dass es nicht vogelwild zugeht. „Man kann beispielsweise nicht einfach ein riesiges Volumen beliebig und gefühllos in einen Dorfkern hineinstellen“, erklärt Vogl-Fernheim. Allerdings möchte er die überdimensionierten Projekte, die es zweifellos auch in Tirol gibt, nicht pauschal den Planern anlasten. Vielmehr sieht er auch ökonomische und politische Vorgaben als verantwortlich dafür.
Echte Sorge bereitet dem Architekten nicht das serielle Bauen, sondern die Künstliche Intelligenz. „Die Gefahr ist die, dass Unkreative mittels KI auf einmal mit schönen Bildern daherkommen, in der Umsetzung aber scheitern, weil ihnen für die Detailplanung das nötige Handwerkszeug fehlt.“ Software als Hilfsmittel, als Werkzeug, befürwortet er grundsätzlich, nur dürfe man das Heft im Gestaltungsprozess nicht aus der Hand geben. Übrigens bedeutet serielles Bauen nicht, dass man sich zur Gänze mit industrieller Massenware abfinden muss. Es gibt weiterhin Platz für Individualität, die man in der Gestaltung der Innen- bzw. Wohnräume ausleben kann. Der niederländische Architekt John Habraken plädierte für Mitbestimmung, für kundenindividuelle Massenproduktion (mass customization). Standardisierung darf nicht zur Einheitswahrnehmung, zur geistigen Gleichmacherei, führen. Serielle Architektur soll einen Rahmen bieten, nicht determinieren. Architektur als Infrastruktur für das Leben – nicht als abgeschlossenes Objekt. Serie und Modularität sind Werkzeuge, nicht Dogmen. Entscheidend ist nicht das System, sondern das, was das System ermöglicht: Teilhabe, Variation und Bedeutung.
Tirols Baufirmen sind bereits auf den Zug aufgesprungen und haben in den letzten Jahren vermehrt Zimmereibetriebe zugekauft. Der Holzbau ist für die Vorfertigung geradezu prädestiniert und bietet als modularer Leichtbau den Vorteil, dass man – eine entsprechende Statik vorausgesetzt – Bestandsgebäude leicht aufstocken könne, was wiederum den Grundverbrauch minimiert. Manches Unternehmen ist zudem im Betonfertigteilbau aktiv, der auch seinen Platz und seine Anwendungen hat. „Serielles Bauen kann durchaus ein Gewinn sein. In Tirol ist man aber insgesamt noch nicht so richtig auf das Thema aufgesprungen“, sagt Hanno Vogl-Fernheim, der seriell produzierte Gebäude nicht verstecken würde und schließlich meint: „Es ist doch schön, wenn die innere Struktur des Gebäudes auch außen spürbar ist.“ Die grundlegende Frage bleibt: Werden wir in Zukunft alle in Modulhäusern leben oder wird das individuelle Bauen bestehen bleiben?
Text: Marian Kröll