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Life

Lebensqualität

2.9.2024

Die vergangenen Jahre waren anstrengend. So richtig. Die aktuellen (geopolitischen) Krisen machen’s dem Gemüt allerdings auch in näherer Zukunft vermutlich nicht leichter. Resilienz war und ist das Wort der Stunde. Die wiederum hat viel mit innerer Stabilität und Zufriedenheit zu tun. Sprechen wir über Qualität, ist auch die Lebensqualität ein wichtiger Aspekt.

Dass das Interesse an Glück und persönlichem Wohlbefinden vor allem in den letzten Jahren massiv gestiegen ist, scheint wenig verwunderlich. Das eigene Ich in den Fokus zu rücken, ist nichts Verkehrtes und sogar höchst wichtig. Neben Resilienz geht es dabei stark um Selbstwirksamkeit, also die innere Überzeugung zu haben, schwierige oder herausfordernde Situationen aus eigener Kraft gut meistern zu können. Selbstwirksamkeit entsteht, wenn Menschen ihre individuellen Talente, Fähigkeiten und Stärken zuvorderst (an)erkennen, sie folglich pflegen und weiterentwickeln, um sie letztlich für sich und die Gesellschaft zu nutzen.

Arbeit gut, alles gut?

Ein gelingendes Leben vereint die unterschiedlichsten Dimensionen. Einer der wichtigsten Aspekte ist, dass wir ohne soziale Kontakte und andere Menschen selbst als Mensch nur mäßig funktionieren. Für unser eigenes Glück brauchen wir andere Personen. Das ist schön und gleichzeitig eine Herausforderung – Glück durch andere Menschen zu empfinden, ohne das eigene Glück von ihnen abhängig zu machen.

Das gilt im Privaten, aber auch für die Arbeit. Arbeit soll uns erfüllen und zufrieden machen und trägt damit maßgeblich zur allgemeinen Lebensqualität bei. Die Verantwortung dafür liegt indes auch bei uns selbst. Wir haben mit dem Arbeitspsychologen Dr. Jürgen Glaser über Zufriedenheit in der Arbeit und deren Auswirkungen auf unser Leben gesprochen.

eco.nova: Wie definiert sich Arbeitszufriedenheit? Jürgen Glaser: Zufriedenheit ist generell ein höchst subjektives Empfinden und entsteht vereinfacht gesagt dadurch, dass eigene Erwartungen erfüllt sind. Fällt der Abgleich zwischen Ist- und Sollwerten positiv aus, ist man zufrieden. Gerade in der Forschung zur Arbeitszufriedenheit gibt es aber differenziertere Vorstellungen. Schaut man sich Studien zur Arbeitszufriedenheit an, zeigt sich, dass bis zu 80 Prozent der Menschen mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Darüber werden sich viele Arbeitgeber*innen erst mal freuen. Geht man allerdings tiefer, verbergen sich hinter diesen vermeintlich Zufriedenen viele Menschen, die ihre Erwartungen in der Arbeit nicht erfüllt gesehen und in der Folge ihre Ansprüche heruntergeschraubt, also ihr Anspruchsniveau gesenkt und sich an die negativen Umstände ihrer Arbeit angepasst haben. Man spricht dabei von resignativer Zufriedenheit. Oft geht dieser Zustand damit einher, dass man seinen Fokus vermehrt auf die Dinge außerhalb der Arbeit richtet und versucht, sein Leben mit diesen Rollen zu erfüllen. Gleichzeitig gehen damit Energie und Motivation für die Arbeit verloren.

Arbeit wird folglich Mittel zum Zweck. Muss Arbeit jedoch immer sinnstiftend sein bzw. macht es in der Zufriedenheitsfrage einen Unterschied, ob man seine Arbeit unter rein rationalen Gesichtspunkten betrachtet oder ihr emotional verbunden ist? Natürlich geht der Großteil der arbeitenden Bevölkerung einer Tätigkeit vorrangig deshalb nach, um den Lebensunterhalt zu finanzieren. Man muss leider auch feststellen, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse immer mehr zunehmen. Hier wird es tatsächlich weniger die Sinnerfüllung sein. Generell wäre es aber natürlich schön, wenn zu diesem materiellen Zweckdenken auch andere Motive hinzukommen. Dass man zum Beispiel seine Kompetenzen und Interessen einbringen kann. Es gibt klare Belege, dass unter anderem die Befriedigung unserer Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit in der Arbeit stark mit dem Engagement und der Leistung für einen Betrieb zusammenhängen – vor allem in der mittleren und höherqualifizierten Ebene, in der die monetären Interessen einigermaßen befriedigt sind. Dann kommen zusätzlich weitere Motive zum Tragen und der Sinn in der Arbeit gehört hier ganz zentral dazu. Auf persönlicher Ebene führt dies zu einer höheren Lebenszufriedenheit, für den Betrieb zu leistungswilligeren und -fähigeren Mitarbeiter*innen, die auch bereit sind, Extrarollen zu übernehmen, also sich nicht nur auf ihre qua Arbeitsvertrag definierten Tätigkeiten zurückziehen, sondern dazu Aufgaben übernehmen, für die sie rein formal nicht verantwortlich sind. Nur so können Unternehmen tatsächlich funktionieren.

Themen wie Mitarbeiter*innenzufriedenheit oder Work-Life-Balance sind im Zuge des – um bei den Anglizismen zu bleiben – Employer Branding in den letzten Jahren enorm populär geworden. Woran liegt das? Ist es eine Frage der Generationen oder des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels? Ich würde solche Veränderungstendenzen nicht nur auf die Generationen schieben wollen. Themen wie Stress in der Arbeit oder Burn-out sind salonfähiger geworden, und das ist gut so. Man hat nicht mehr das Gefühl, man wäre mit arbeitsbezogener Überforderung allein. Und weil darüber geredet wird, sind diese Themen auch vermehrt ins Bewusstsein gerückt. Es mag vorrangig die jüngere Generation sein, die sich nicht mehr alles zumuten lassen möchte. Sie erkennt zusehends, dass Arbeit ein Teil unterschiedlicher Lebensdomänen ist. Work-Life-Balance finde ich deshalb ein schreckliches Wort, weil es impliziert, Arbeit und Leben wären zwei konträre Dinge. Ich spreche lieber von Life-Domain-Balance, weil es zeigt, dass Arbeit auch ein wichtiger Teil des Lebens ist und ihm nicht entgegensteht.

Welche Auswirkungen hat die Arbeit auf unsere allgemeine Lebensqualität? Arbeit aktiviert uns, morgens überhaupt aufzustehen. Sie gibt uns ein Ziel und sorgt dafür, dass wir sozialen Anschluss haben und unseren Platz in der Gesellschaft finden. All das bricht etwa bei Arbeitslosen weg und kann dazu führen, dass Arbeitslosigkeit beispielsweise zu klinischen Depressionen führt. Arbeit soll Lust machen, sich zu entwickeln und Dinge zu lernen. Es gibt Forschungen, die bestätigen, dass Arbeit unser Leben massiv bereichert, indem man von seinem Lernen etwa auch im Alltag profitiert und stolz ist auf das Geleistete und Erreichte. Das alles zahlt auf unsere Lebensqualität ein.

Wie viel Verantwortung kann/soll/muss ein Arbeitgeber für das Glück und die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter*innen übernehmen? Formaljuristisch erst mal gar keine. Er ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass es den Mitarbeiter*innen nicht schlecht geht. So sind alle Arbeitgeber*innen gesetzlich verpflichtet, körperliche, aber auch psychische Belastungen regelmäßig zu ermitteln und auf Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten zu überprüfen. Aus arbeitspsychologischer Sicht sind Arbeitgeber aber natürlich gut beraten, auch das Wohlbefinden und die Zufriedenheit im Blick zu behalten. Widrige Arbeitsumstände – in welcher Form auch immer – sind häufig Auslöser für Lebensunzufriedenheit und eine Beeinträchtigung der Lebensqualität, was folglich auch zu weniger Leistung im Beruf führt.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschungstätigkeit unter anderem mit dem Thema „Selbstverwirklichung durch Arbeit“. Selbstverwirklichung setzt voraus, dass man prinzipiell weiß, was man will. Wie viele Menschen haben tatsächlich konkrete Ziele und wissen, wie der Weg dorthin sein soll? (Weiter-)Entwicklung ist ein dynamisches Geschehen. Es geht nicht darum, heute bereits sehr konkret zu wissen, was in den nächsten Jahren passieren soll. Ein Entwicklungsprozess besteht aus Veränderungen in Wünschen und Gelegenheiten. Arbeit hat darin eine sehr wichtige Funktion, weil sie uns erkennen lässt, wo unsere Talente liegen und was man gut kann. Daraus entsteht Selbsterkenntnis und man wird durch positive Erfahrungen angeregt, sich weiterzuentwickeln. Kennt man sich selbst überhaupt nicht, würde ich im Arbeitskontext auch eine Schwäche in der Führung konstatieren, die dann offensichtlich kein oder unzureichendes Feedback gibt, die Aufgaben schlecht definiert oder nicht selten so anlegt, dass sie in der verfügbaren Zeit kaum zu bewältigen sind.

Schaut man sich Erwerbsbiografien an: Glauben Sie, dass Menschen Berufswege aus rein intrinsischer Motivation einschlagen oder vermehrt gesellschaftliche Konventionen und äußere Einflüsse ihre Rollen spielen? Die Frage der Arbeitsmotivation ist im Kontext der Selbstverwirklichung eine sehr essenzielle. Die Selbstbestimmungstheorie beschreibt ein Kontinuum zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation: Mache ich etwas ausschließlich darum, weil es mir Freude bereitet – man spricht in diesem Zustand bisweilen auch von einem Flow-Erleben – oder aufgrund äußerer, auch materieller, Anreize. Die Bandbreite an Schattierungen dazwischen ist groß. In der Mitte befindet sich die so genannte Introjektion, die Aufnahme und Verinnerlichung äußerer Realitäten und fremder Normen oder Wertvorstellungen, die mich zwar leiten, mir aber noch nicht zu eigen sind. Der Anteil an Menschen, deren Zugang zur Arbeit ein rein intrinsischer ist, dürfte begrenzt sein. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass Menschen, die autonom und selbstmotiviert arbeiten, zufriedener sind, mehr Leistung bringen, sich eher ans Unternehmen gebunden fühlen und auch für höhere Kundenzufriedenheit sorgen.

Ruhen sich Menschen zu oft auf der zu Beginn angesprochenen „resignativen Zufriedenheit“ aus, könnten vielleicht andere Tätigkeiten viel besser, müssten sie sich aber verändern, um das herauszufinden. Veränderungswiderstände gibt es fast immer und wenn ich etwas noch nie gemacht habe, werde ich auch nicht wissen, ob ich das (besser) könnte. Ich bin kein Freund der Generationenpolarisierung, aber der Trend der jungen Leute, sich auszuprobieren, verschiedene Praktika oder ein Work&Travel zu absolvieren, macht durchaus Sinn. Die Arbeitswelt ist unsicherer geworden. Man bleibt kaum mehr wie früher üblich sein Leben lang in einem Job. Das kann aber auch eine Chance sein, seine wahren Talente und Bedürfnisse zu entdecken, weil man sich in unterschiedlichen Feldern erproben kann, ohne dass es einem zum Nachteil ausgelegt wird. Selbstverwirklichung heißt nicht, nach etwas Unmöglichem in den Sternen zu greifen, sondern etwas für sich zu finden, das man aus einem hohen Maß an intrinsischer Motivation tut.

Glauben Sie, dass Menschen prinzipiell zufriedener sein könnten, wenn sie sich intensiver mit sich selbst beschäftigten? Das kommt ganz darauf an, auf welche Weise man sich mit sich beschäftigt. Ganz mit sich alleine wird Zufriedenheit eher nicht entstehen. Ich denke, dass der Austausch, auch die Reibung mit anderen, die Ermunterung und Anregung von außen zum Lebensglück beitragen. Wobei es das eine, einzige Glück nicht gibt. Betrachtet man Glück als (angloamerikanische) Happiness – die situationsbedingte Empfindung eines positiven Gefühls –, so ist dies eine relativ flache Art des Glücks und etwas, das man als hedonistisches Wohlbefinden bezeichnen würde. Demgegenüber steht das eudaimonische Wohlbefinden, ein tugendhaftes Glück, das insbesondere in Zusammenhang mit moralischen Wertüberzeugungen steht. Dieses Glück besteht darin, Dinge nicht nur aus egoistischer Betrachtung für sich selbst zu tun, sondern einen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Dieses Glück ist es auch, das letzten Endes zu nachhaltigerer Zufriedenheit führt, zu einem höheren Lebensalter in besserer Gesundheit wie etwa auch zu einer verbesserten Anpassungsfähigkeit bei Veränderungen.


Interview: Marina Bernardi

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