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Wirtschaft

Leistbares Wohnen

26.9.2025

Wir haben mit dem Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreter und Wohnbaureferenten Philip Wohlgemuth ergründet, was unter dem Begriff „leistbares Wohnen“ zu verstehen sein und wie man diesem Ziel näherkommen könnte: Spekulation eindämmen, Flächen mobilisieren, Leerstand minimieren und den gemeinnützigen Wohnbau forcieren. Wohlgemuth will „ein gutes Leben für alle“ statt sozialer Schieflage. Wohnen soll in Tirol nicht mehr als 25 Prozent des Haushaltseinkommens kosten, so das ambitionierte politische Ziel.

eco.nova: Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis, Wohnraum dagegen eine Commodity, die den Marktkräften – teils eingeschränkt, teils uneingeschränkt – ausgesetzt ist. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Politik. Halten Sie, der Sie als Landeshauptmann-Stellvertreter sowohl für die Wohnbauförderung als auch für den Hochbau zuständig sind, die Spekulation mit Wohnraum in Tirol für ein Problem? Philip Wohlgemuth: Wohnpolitik ist eine ganz zentrale Frage der sozialen Gerechtigkeit, der sich die Politik stellen muss. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass das Leben in Tirol leistbar bleibt – und leistbarer wird. Wir sind verantwortlich dafür, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass alle Menschen in Tirol ein gutes Leben führen können. Wir bemerken, dass in unserem Land mit Wohnraum spekuliert wird, während andere sich das Leben – und insbesondere das Wohnen – schlichtweg nicht mehr leisten können. Das ist ein Problem, das zu einer sozialen Schieflage führt, wie wir sie in unserem Land nicht brauchen können.

Sie sehen die Spekulation mit Immobilien also als Problem? Wir dürfen nicht zusehen, wenn die einen mit Wohnraum spekulieren, während sich die anderen das Wohnen nicht mehr leisten können. Mit einem Wort: Ja!

Wie kann man von politischer Seite dagegen angehen, um Wohnraum für die breite Masse der Bevölkerung leistbarer zu machen? Dazu müssen wir unterschiedliche Maßnahmen ergreifen. Es wird weiterhin Eigentums- und Mietwohnungen brauchen, um den Wohnbedarf und die unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigen zu können. Wir haben im Rahmen der Regierungsklausur im Frühjahr einige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir wollen den Leerstand minimieren, Bauland mobilisieren und der Spekulation einen Riegel vorschieben. Klar ist aber auch, dass nicht alle Maßnahmen von heute auf morgen greifen. Das ist wichtig zu betonen, weil den Menschen über viele Jahre hindurch versprochen wurde, dass das Wohnen leistbar wird. Das war auf unterschiedlichen Wahlplakaten immer wieder zu lesen.

Gerade in Vorwahlzeiten gehört das gewissermaßen zum Grundinventar der politischen Wahlversprechen. Ist es auch seriös, angesichts der Umstände – durch die Topographie bedingter, stark eingeschränkter Dauersiedlungsraum, Verfügbarkeit von geeigneten Flächen, Nutzungsdruck, Konkurrenz zu touristischen Nutzungen – so etwas zu versprechen? Wir befinden uns in der Mitte der Wahlperiode, daher ist von Wahlkampfrhetorik einmal nichts zu hören. Grundsätzlich glaube ich, dass man ehrlich mit der Bevölkerung sein muss: Wohnen wird nicht von heute auf morgen leistbarer werden. Mit unseren Maßnahmen setzen wir aber alles daran, dass das Wohnen in den nächsten Jahren leistbarer wird.

Wie sehen diese Maßnahmen konkret aus? Wir haben im Frühjahr die Baulandmobilisierungsabgabe zugunsten der Gemeinden beschlossen. Gegenstand dieser Abgabe wird unbebautes Bauland sein, das vor dem 1. Juli 2020 als Wohn- oder Mischgebiet gewidmet wurde. Wir haben die Leerstandsabgabe verschärft und erhöht. Diese Änderung tritt ab 1. Jänner 2026 in Kraft. Wir haben die Initiative „Sicheres Vermieten“ ins Leben gerufen und mit der „Servicestelle Wohnen“ für die Gemeinden und Wohnbauträger eine zentrale Anlaufstelle im Land eingerichtet, in der alle Fäden zusammenlaufen. Diese Servicestelle ist als One-Stop-Shop bei allen Angelegenheiten rund um die Schaffung von Wohnraum konzipiert. Und ganz wichtig: Während im Doppelbudget in nahezu allen Bereichen 15 Prozent der Ermessensausgaben gekürzt werden müssen, bleibt die Wohnbauförderung von den Einsparungen ausgenommen – und wird auf dem Rekordniveau von 2025 fortgeführt.

In Tirol gibt es laut Wohnbedarfsstudie Tirol 100.000 Wohnungen, für die keine Hauptwohnsitzmeldung vorliegt. Bei 75.000 Wohnungen liegt überhaupt keine Meldung vor. Sind Sie mit diesem Zustand zufrieden oder braucht es eine exakte Leerstandserhebung, um gezielter gegen Leerstand vorgehen zu können? Mit der Novelle der Leerstandsabgabe haben wir auf die Rückmeldungen der Gemeinden reagiert. Die Gemeinden wissen selbst am besten, ob sie diese Abgabe einheben wollen oder nicht. Es gibt nun die Möglichkeit, bis zu 30 Prozent der ortsüblichen Miete an Leerstandsabgabe einzuheben. Das ist ein Instrument, das Leerstand verhindern und Spekulation eindämmen kann. Wir haben gesehen, dass es viele gibt, die Wohnungen kaufen, diese über Jahre leer stehen lassen und nach einigen Jahren gewinnbringend wieder verkaufen. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir brauchen mehr Wohnraum für die Tirolerinnen und Tiroler und vor allem die Familien in unserem Land. Es wird in den kommenden Jahren definitiv noch weitere Maßnahmen geben.

Sind Sie für die verpflichtende Meldung von Leerständen? Es wird daran gearbeitet, die bestehenden Daten besser mit den Meldungen zu verknüpfen, um zu einer besseren Datenbasis zu kommen. Wir brauchen gute Daten, um politisch die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können.

Die Leistbarkeitsdebatte ist fast so alt wie das Wohnen selbst. Was ist aus Ihrer Sicht „leistbares Wohnen“? Wohnen ist derzeit viel zu teuer. Wir bekommen von den Menschen die Rückmeldung, dass sie unter der Teuerung der letzten Jahre und steigenden Wohnkosten leiden. Das muss man sehr ernst nehmen. Unser langfristiges Ziel muss sein, dass nicht mehr als 25 Prozent des Haushaltseinkommens für Wohnen aufgewendet werden muss*, um ein gutes Leben für alle in unserem Land zu gewährleisten. Die Menschen sollen noch genügend Geld für Freizeitaktivitäten zur Verfügung haben, sie sollen sich einen Urlaub leisten können. Die Menschen, die dieses Land am Laufen halten, brauchen leistbaren Wohnraum.

Sie haben bereits einige Maßnahmen beschrieben, sehen Sie noch ungenutzte Spielräume, um dieser 25-Prozent-Marke näherzukommen? Mit der neuen „Servicestelle Wohnen“ wollen wir den Gemeinden und gemeinnützigen Wohnbauträgern Mut machen, vor allem mehr sozialen Wohnraum zu schaffen. Das ist unser Ziel, das wir mit den Gemeinnützigen in den kommenden Jahren intensiv verfolgen werden. Ich möchte eine Lanze für die gemeinnützigen Wohnbauträger brechen, weil diese seit vielen Jahren sehr qualitätsvolle Wohnbauten errichten, die sich im Rahmen des Leistbaren bewegen. Wir haben im Frühjahr auf Maßnahmen gesetzt, die darauf abzielen, das noch zu forcieren. Wir drehen an mehreren Stellschrauben zugleich, im politischen, rechtlichen und auch budgetären Bereich.

Ein Blick auf die Immobilienanzeigen könnte den Eindruck erzeugen, dass gewerbliche Bauträger mitunter am konkreten Wohnbedarf vorbeibauen. Laut Studie steigt die Nachfrage nach kleinen Einheiten, gebaut werden große, teure. Anders formuliert: Bei den Bauträgern stehen nicht Nutzer*innen der Immobilien, sondern Investor*innen im Fokus. Ist dieser Eindruck richtig? Mir ist es wichtig, den Bedarf der Tiroler Bevölkerung vor allem mit den Gemeinnützigen abzudecken. Deshalb haben wir die Studie „Zukunft Wohnen in Tirol 2035“, deren Ergebnisse im Frühjahr 2026 zu erwarten sind, in Auftrag gegeben. Wir wollen uns ein genaueres Bild der Bedürfnisse der Bevölkerung machen, um angemessen darauf reagieren zu können. Die intensive Zusammenarbeit mit den Gemeinnützigen soll es ermöglichen, die zur Deckung des Wohnbedarfs benötigte Neubauleistung zu erreichen. Es soll gebaut werden, was gebraucht wird. Die Bedürfnisse sind unterschiedlich, deshalb wird es weiterhin unterschiedliche Wohnungsgrößen und auch Preissegmente brauchen. Ich glaube, dass die gewerblichen ebenso wie die gemeinnützigen Bauträger am Ende des Tages Wohnungen für ihre Klientel errichten, die Mieter*innen und Eigentümer*innen und nicht primär Investoren. Wir in der Politik sind gefordert, unsere Handlungsspielräume zu nutzen. Daher wollen wir auch bei Sanierung und Nachverdichtung neue Impulse setzen. Wir haben nur rund zwölf Prozent besiedelbare Landesfläche. Diese gilt es möglichst ressourcenschonend zu nutzen.

Ältere Menschen, die mit alten und daher vergleichsweise günstigen Mietverträgen in zu groß gewordenen Wohnungen leben, können es sich vielfach nicht leisten, in kleinere, bedarfsgerechte, aber teurere Wohnungen umzuziehen und so Platz für Familien zu machen. Wie ließe sich dieses Problem beheben? Die beschriebene Situation habe ich bei meiner Großmutter gesehen. Sie hat in einer großen 3-Zimmer-Wohnung im Olympischen Dorf gelebt, die ihr irgendwann zur Belastung geworden ist. Es hat sich herausgestellt, dass eine Übersiedlung in eine kleinere Wohnung teurer gewesen wäre als der Verbleib in der ursprünglichen, größeren Wohnung. Da gibt es Handlungsbedarf, auf den wir – in enger Abstimmung mit den Gemeinden, die Wohnungen vergeben – reagieren müssen. Wir brauchen Instrumente, die es gerade den älteren Menschen ermöglichen, ohne finanzielle Einbußen in bedarfsgerechte, kleinere Wohnungen zu ziehen und im Gegenzug Platz für Mehrpersonenhaushalte bzw. Familien zu machen. Darüber werden wir diskutieren müssen.

Sie haben die Mobilisierung von Bauland als erklärtes Ziel der Landesregierung beschrieben. Die Widmungskompetenz liegt bei den Gemeinden. Ist sie dort gut aufgehoben? Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass die Gemeinden am besten wissen, wie sie mit ihrem Grund und Boden verantwortungsvoll umgehen können. Als Land wollen wir den Gemeinden dabei mit unserer umfassenden Beratungskompetenz – mit unserer Servicestelle Wohnen, mit dem Wohnbaukoordinator, aber auch mit dem Tiroler Bodenfonds – zur Seite stehen. Seit dem Frühjahr ist die Servicestelle durch die Bezirke getourt, um sich den Gemeinden vorzustellen. Im Herbst werden wir den Bürgermeister*innen und Gemeinderät*innen im Land die Instrumente der Raumordnung – besonders die Vertragsraumordnung – in einer weiteren Vortragsreihe detaillierter vorstellen. Das soll den sozialen Wohnbau in den Gemeinden vorantreiben.

In Ihrem Vorwort zum Tiroler Wohnhandbuch 2025 fordern Sie die verpflichtende Anwendung der Vertragsraumordnung. Wird das Land Tirol in dieser Materie bundesweit vorangehen, obwohl die obligatorische Vertragsraumordnung in der Vergangenheit als verfassungswidrig erkannt wurde? Die rechtliche Lage hat sich in dieser Frage nicht entscheidend geändert. Doch es gibt in Tirol den politischen Wunsch, das umzusetzen. Inwieweit wir hier bundesweit politischen Konsens erreichen, ist noch offen.

Die Initiative „Sicheres Vermieten“ des Landes Tirol ist noch kein durchschlagender Erfolg. Können Sie bitte noch einmal kurz erläutern, warum Vermieter*innen mit dem Land zusammenarbeiten sollten? Es dauert grundsätzlich eine gewisse Zeit, bis solche Initiativen Früchte tragen. Es hat bereits viele unterschiedliche Anfragen von Vermieter*innen gegeben. Dabei hat sich gezeigt, dass manche potenzielle Vermieter*innen den bürokratischen Aufwand des Vermietens scheuen, während andere Sorge vor Mietnomaden haben, die die Wohnung nicht sachgemäß behandeln. Mit der Initiative „Sicheres Vermieten“ wollen wir einerseits den bürokratischen Aufwand für Vermieter*innen reduzieren und andererseits einen gewissen rechtlichen Schutz bieten, sodass sorg- und bedenkenlos vermietet werden kann. Es gab bereits mehr als 100 konkrete Anfragen von Eigentümer*innen, deren Wohnung mehr als sechs Monate leer gestanden ist. Jeder Leerstand, jede einzelne Wohnung, die dadurch mobilisiert werden kann, ist ein Gewinn für die Bevölkerung. Die Initiative wächst noch, aber jede Wohnung zählt.

Neubau, Sanierung und Nachverdichtung werden Hand in Hand gehen müssen, um die Nachfrage nach Wohnraum zu bewältigen. Verhältnismäßig wenig tut sich dagegen bei neuen Wohntypologien, die in Tirol noch nicht einmal eine untergeordnete Rolle spielen. Wird sich daran zukünftig etwas ändern? Es gibt sehr unterschiedliche Wohnformen und Ideen, die dazu dienen sollen, die Wohnqualität und die Qualität des zwischenmenschlichen Miteinanders zu erhöhen. In Wien wird beispielsweise bei jedem Wohnprojekt eine soziale Komponente eingebaut. Das können gemeinsame Aufenthaltsräume genauso sein wie Gemeinschaftsküchen oder Sporträume. Wir werden aus unserer Studie „Zukunft Wohnen in Tirol 2035“ herauslesen, was in Tirol konkret gebraucht wird, und entsprechend darauf reagieren. Dabei werden auch neue Wohntypologien eine konkrete Rolle spielen. Die Politik muss generell für alle Maßnahmen, die Wohnen qualitätsvoller und zugleich leistbarer machen können, ein offenes Ohr haben.

Wie soll Wohnen in Tirol 2035 aussehen, wenn es nach Ihnen ginge? Meine politische Vision ist es, Wohnen leistbarer zu machen und möglichst allen Menschen in diesem Land ein gutes Leben zu ermöglichen. Die Menschen sollen nicht mehr als ein Viertel des Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden müssen.


Interview: Marian Kröll
Fotos: Andreas Friedle

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