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4 Fragen an …

29.7.2025

Barbara Thaler, Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol

Mario Gerber, Landesrat für Wirtschaft, Tourismus und Digitalisierung

Max Kloger, Präsident der Industriellenvereinigung Tirol

Welche ist derzeit die größte Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Tirol?

Barbara Thaler: Unsere größte Herausforderung liegt in den hohen Kosten für die Betriebe, sowohl auf Personalseite als auch bei der Energie. Dieses hohe Niveau treibt unweigerlich die Preise für unsere Produkte und Dienstleistungen nach oben. Vor allem unsere Industrie, die einen hohen Exportanteil hat, ist damit auf internationalen Märkten zum Teil nicht mehr wettbewerbsfähig. Wir haben uns in einigen Bereichen tatsächlich aus dem Markt gepreist und müssen daran arbeiten, wieder auf ein vertretbares Niveau zu kommen. Dazu braucht es einerseits Zurückhaltung bei den Lohnabschlüssen, andererseits muss der Staat Impulse im Energiebereich setzen – etwa indem die Stromabgabe von derzeit 15 Euro pro MWh auf das zulässige EU-Mindestniveau von 0,5 Euro für Geschäftskunden und 1 Euro pro MWh für Private gesenkt wird. Für Unruhe sorgen auch US-Zölle – schließlich exportieren unsere Betriebe Waren im Wert von rund einer Milliarde Euro in die USA.

Mario Gerber: Viele heimische Unternehmen sind aktuell mit steigenden Produktions- und Energiekosten sowie Lieferengpässen konfrontiert. Dies betrifft vor allem den produzierenden Bereich. Die größte Herausforderung für Tirols Wirtschaft ist jedoch der anhaltende Arbeits- und Fachkräftemangel. Dieser zieht sich durch so gut wie alle Branchen – vom Tourismus über die Industrie bis hin zum Dienstleistungsbereich. Um das vorhandene Wachstumspotenzial voll auszuschöpfen, fehlt es vielen Betrieben an ausreichend qualifiziertem Personal. Zusätzlich verschärft wird die Situation durch den demografischen Wandel. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es dringend gezielte bundesweite Maßnahmen in der Ausbildung, der Fachkräfteeinbindung sowie der internationalen Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften.

Max Kloger: Die größten Herausforderungen für den Industriestandort Tirol sind derzeit die massiv gestiegenen Energiepreise, die hohen Arbeitskosten und die zunehmende Belastung durch Bürokratie. Laut OECD schrumpft Österreichs Wirtschaft 2025 im dritten Jahr in Folge – das ist die längste Rezession der Zweiten Republik. Hauptursache: die anhaltende Schwäche der Industrie. Für viele Betriebe sind die Strompreise existenzbedrohend – auch weil Österreich als eines der wenigen EU-Länder keine dauerhafte Strompreiskompensation bietet. Gleichzeitig zählen wir laut OECD zu den Ländern mit den höchsten Arbeitskosten weltweit. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, braucht es eine Senkung der Lohnnebenkosten um zumindest fünf Prozentpunkte. Und nicht zuletzt: Überlange Verfahren, intransparente Zuständigkeiten und stetig steigende Berichtspflichten treiben den Aufwand für Unternehmen in die Höhe. Wer investieren will, braucht klare Abläufe, zügige Genehmigungen und eine Verwaltung, die auf Effizienz ausgelegt ist. Bürokratieabbau ist längst kein Nebenthema mehr – er ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor.

Welche einzelne wirtschaftspolitische Maßnahme könnte Tirol eigenständig umsetzen, um den Standort möglichst effektiv zu stärken?

Barbara Thaler: Eine wichtige Maßnahme ist gerade im Laufen: Das Land Tirol hat es sich zum Ziel gesetzt, mit dem Tirol Konvent Bürokratie abzubauen. Das Ziel ist es, jede Woche eine Regel zu streichen oder zu vereinfachen beziehungsweise einen Prozess in der Verwaltung zu optimieren. Die Einführung der Vollständigkeitsprüfung im Gewerbeverfahren und die Digitalisierung von Gewerberechtsbescheiden stellen einen großen Schritt in die richtige Richtung dar. Das sind für die Tiroler Betriebe gute Nachrichten. Eine weitere Maßnahme, die Tirol eigenständig umsetzen könnte, sind Vorsorgeflächen für Betriebserweiterungen – wie es sie im Bereich der Landwirtschaft längst gibt. Unternehmerische Ideen brauchen Platz – das muss sich auch in der Raumordnung widerspiegeln.

Mario Gerber: Um den Standort langfristig wettbewerbsfähig zu halten, ist es unabdingbar, dass sich auch die Verwaltung kontinuierlich weiterentwickelt und Verfahren beschleunigt werden. Das verfolgen wir unter anderem mit dem Tirol Konvent. Bürokratische Hürden sollen – etwa durch Digitalisierung oder die Vereinfachung von Verfahren – abgebaut werden. Nicht zuletzt sollen damit die Wettbewerbsfähigkeit in Tirol gezielt gestärkt, Investitionen erleichtert sowie Genehmigungsprozesse verkürzt werden. Darüber hinaus gilt zu betonen, dass Tirol mit dem verpflichtenden Standort-Check bereits ein wirksames Instrument geschaffen hat, um zu prüfen, welche Auswirkungen neue Rechtsnormen wie Gesetze, Verordnungen oder Richtlinien des Landes beispielsweise auf die Gründung, Erweiterung oder Ansiedelung von Unternehmen, den Arbeitsmarkt oder die Entwicklung von regionalen Wertschöpfungsketten haben.

Max Kloger: Der wichtigste Hebel liegt im Ausbau der heimischen Wasserkraft. Sie ist die Basis für eine sichere, planbare und nachhaltig produzierte Energieversorgung – und damit für die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie in Tirol. Das milliardenschwere Investitionspaket der TIWAG ist in diesem Zusammenhang ein dringend notwendiger Schritt zur Absicherung der Energiezukunft. Ein zweiter entscheidender Hebel ist die Vereinfachung von Verfahren. Für Unternehmen ist nicht entscheidend, ob ein Projekt theoretisch möglich wäre – sondern ob es sich praktisch auch innerhalb wirtschaftlich vertretbarer Fristen umsetzen lässt. Gerade bei Investitionen erleben wir zu häufig überlange Verfahren, unklare Zuständigkeiten und unnötige bürokratische Hürden. Wer den Standort stärken will, muss Genehmigungsprozesse beschleunigen, Schnittstellen reduzieren und digitale Verfahren flächendeckend ermöglichen. Im Rahmen des Tirol Konvents haben wir konkrete Reformvorschläge ausgearbeitet: verbindliche Bearbeitungsfristen, digitale Einreichsysteme, nachvollziehbare Verfahrensstände und die verstärkte Einbindung externer Fachleute.

Welche Veränderungen im Mindset der Tiroler*innen würden das Land wirtschaftlich am meisten voranbringen?

Barbara Thaler: Der Begriff Leistung ist in unserer Gesellschaft teilweise negativ belegt. Leistung wird mit Leistungsdruck, mit Mühe und Aufwand verbunden – außer im Sportbereich, da scheinen andere Maßstäbe zu gelten. Der Wille zu Leistung und damit verbunden das Bekenntnis zu Eigenverantwortung und die Lust am Gestalten sind jedoch die Voraussetzungen dafür, dass sich unsere Gesellschaft nach vorne entwickelt. Mit Leistung fängt alles an – ohne Leistung hört alles auf. Deswegen sehen wir es als unsere Aufgabe, für ein positives Leistungsklima zu sorgen. Die Wirtschaftskammer Tirol versteht sich als Anwalt aller Leistungsträgerinnen und Leistungsträger des Landes.

Mario Gerber: Tirol ist geprägt von Tradition, Stabilität und regionaler Stärke. Gleichzeitig würde es uns als Wirtschaftsstandort guttun, wenn wir noch mutiger, offener und risikobereiter wären. Innovation braucht die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, auch einmal Fehler zu machen und von diesen zu lernen. Wenn es uns gelingt, diese Kultur der Offenheit und des unternehmerischen Denkens weiter zu verankern, werden wir langfristig noch erfolgreicher, zukunftsfähiger und widerstandsfähiger sein.

Max Kloger: Tirol hat sich wirtschaftlich seit Ende des Zweiten Weltkriegs so gut entwickelt, weil Arbeit als integraler Bestandteil eines erfüllten Lebens verstanden wurde – nicht als Gegensatz dazu. Heute erleben wir eine Entfremdung, bei der Arbeit oft nur noch als Belastung wahrgenommen wird. Ich bin überzeugt: Es braucht ein neues, lebensnahes Verständnis von Vereinbarkeit. Beruf, Freizeit und Familienleben sind keine Gegensätze, sondern beeinflussen einander positiv. Wer einer erfüllenden Aufgabe nachgeht, ist oft auch im privaten Umfeld ausgeglichener, präsenter, zufriedener – und umgekehrt. Viele Betriebe setzen heute alles daran, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, Weiterentwicklung zu ermöglichen und individuelle Lebensmodelle zu unterstützen. Dieses Engagement verdient auch gesellschaftliche Anerkennung. Denn langfristiger wirtschaftlicher Erfolg entsteht nur dort, wo Arbeit nicht als Zumutung, sondern als essenzieller Baustein des guten Lebens verstanden wird.

Wo sehen Sie konkretes Einsparungspotenzial?

Barbara Thaler: Die Budgetkrise ist zu einem großen Teil hausgemacht. Zahlreiche Ökonomen und auch WKO-Präsident Harald Mahrer stellen zu Recht fest: Wir haben ein Ausgaben-, kein Einnahmenproblem. Die Wirtschaft schrumpft, während die Ausgaben für den staatlichen Sektor wachsen. Das ist eine ungesunde Entwicklung für den Standort. Mit einer Staatsquote von über 56 Prozent liegt Österreich mittlerweile am unrühmlichen dritten Platz in Europa. Es braucht daher strukturelle Reformen, um die öffentliche Hand schlanker, effizienter und unbürokratischer zu gestalten.

Mario Gerber: Ich sehe großes Potenzial im Bürokratieabbau, bei der Reduzierung von administrativen Hürden sowie der Beschleunigung von Verwaltungsverfahren. Es ist der Auftrag und Anspruch des Tirol Konvents, die Zugänglichkeit der Verwaltung für Kundinnen und Kunden des Landes – darunter fallen auch Unternehmen – zu verbessern. Tiroler Betriebe sollen transparente Einblicke in Verfahrensstände und -verläufe erhalten und dadurch von mehr Planbarkeit und Nachvollziehbarkeit profitieren. Um die Nachvollziehbarkeit, Nachverfolgbarkeit sowie Beschleunigung voranzutreiben, soll darüber hinaus die Digitalisierung weiter ausgebaut werden.

Max Kloger: Die dringendste Reformchance liegt beim Bürokratieabbau – und sie kostet keinen Cent. Laut aktueller Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica geben heimische Unternehmen jährlich bis zu 15 Milliarden Euro für die Erfüllung bürokratischer Auflagen aus. Das entspricht rund 2,5 Prozent ihres Gesamtumsatzes. Besonders bei Investitionen, Bauverfahren oder Umweltgenehmigungen lähmen lange Verfahren, doppelte Berichtspflichten und ineffiziente Abläufe den Fortschritt. Wir fordern: verbindliche Bearbeitungsfristen, digitale Einreichsysteme, einen Bürokratiekostenindex sowie die regelmäßige Evaluierung neuer Vorschriften. Bürokratieabbau ist kein Kahlschlag, sondern ein Wachstumsimpuls – er entlastet Unternehmen, spart Ressourcen und stärkt den Wirtschaftsstandort, ohne das Budget zusätzlich zu belasten. Genau das brauchen wir jetzt.

Fotos: Patrick Saringer, Andreas Friedle, Franz Oss

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