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Life

For Sake’s Sake

5.9.2025

Sushi ist fast allgegenwärtig. Es gibt die austauschbare, qualitativ mittelprächtig bis okaye Supermarktware ebenso wie hochklassiges Sushi, frisch zubereitet von kundiger Hand. Ramen, die japanische Version der Nudelsuppe, ist Ende der 00er-Jahre nach Europa herübergeschwappt und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Nun steht mit Sake ein alkoholisches Getränk in den Startlöchern, um den Kontinent zu erobern. Noch ist das Kult(ur)getränk eher ein Insidertipp. Es gibt aber einige Indizien dafür, dass sich das ändern wird. Dazu tragen auch Expert*innen bei, die sich intensiv mit Sake befasst haben. Der Osttiroler André Cis zum Beispiel.
 
André Cis ist dem Sake quasi hinterhergereist und hat sich im Zuge mehrerer Japan-Aufenthalte inspirieren lassen. „Was mich in Japan sofort in den Bann zog, war die Kultur – zunächst vor allem die Küche: präzise, reduziert, tief verwurzelt in der Naturbeobachtung. Doch sehr rasch ist auch die Getränkekultur ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit gerückt.“ Zum Sake fand der passionierte Sommelier von Anfang an genügend Anknüpfungspunkte, das Getränk erschien ihm auf Anhieb vertraut, erzählt Cis: „Es geht dabei um Fragen der Herkunft, der Fermentation, der Aromatik. Gleichzeitig war da aber etwas völlig Eigenständiges – insbesondere im Zusammenspiel mit Speisen: weniger konfrontativ als Wein, subtiler, weicher und mit einer völlig anderen Logik in Bezug auf Pairing.“ Es war diese Mischung aus „Vertrautheit und Andersartigkeit“, die den Osttiroler in ihren Bann gezogen hat. „Ich wollte tiefer eintauchen, verstehen, erleben. Daraus entwickelte sich nicht nur ein persönliches Interesse, sondern letztlich auch der Entschluss, mich systematisch mit Sake auseinanderzusetzen – bis hin zur Ausbildung zum Advanced Sake Sommelier.“
 
Genuss ohne große Geste
In Japan, dem Mutterland des Sake, hatte André Cis auch seine ersten Aha-Erlebnisse, und zwar „nicht im Rahmen von Brauereibesuchen, sondern in ganz alltäglichen, traditionellen Kontexten: in Sake-Bars, kleinen Izakayas und Restaurants, in denen Sake ganz selbstverständlich Teil der Esskultur war.“ Diese Orte haben tiefe Spuren beim Gastronomieexperten hinterlassen. „Nicht wegen großer Gesten, sondern durch die stille Selbstverständlichkeit, mit der Sake dort zelebriert wird: temperaturangepasst, passend zur Speise, oft ohne große Etikettenschau – einfach als kulturell verankerter Begleiter.“
 
Ein zweites Aha-Erlebnis stellte sich bei Cis unlängst in Europa ein, allerdings nicht am Festland, sondern im Londoner Restaurant Ikoyi, das britische Küche mit westafrikanischem Einschlag verbindet. Sake wurde dort von einem italienischen Sommelier angeboten. Internationaler geht es kaum. „Der Sommelier dort arbeitet zwar mit einer beeindruckenden Weinkarte, bietet aber parallel eine Sake-Begleitung (sowie Tee) an – aus Überzeugung“, erzählt Cis. Argumentiert habe dieser das folgendermaßen: „Bei dieser ungewöhnlichen Aromatik und Würzung stößt Wein oft an seine Grenzen, Sake hingegen kann sich durch seine Struktur und sein Umami-Potenzial elegant und wirkungsvoll einfügen. Wir haben einige Gerichte testweise mit beiden Getränken kombiniert – und tatsächlich hatte Sake oft die Nase vorn.“
 
Man muss übrigens gar nicht so weit reisen, um in gastronomischen Sake-Pairing-Genuss zu kommen. In Tirol ist es etwa Lorenz Maria Grießer, der in seinem neuen „Lorenz in der Alten Mühle“ in Scharnitz den Sake für sich entdeckt hat und die Getränkebegleitung nicht ausschließlich auf Wein fokussiert. Bei bestimmten Gerichten auf der Karte wird außerdem bewusst darauf hingewiesen, dass Sake tatsächlich eine gangbare Alternative wäre: „Ich finde Sake sehr spannend“, sagt er. „Beim Wein kämpft man beim Essen ja immer auch ein Stück gegen die Säure an“, bestätigt auch der Tiroler Sake-Sommelier. „Sake hat weniger Säure, dafür viel Umami. Das funktioniert beim Kochen genauso wie pur oder in Cocktails.“
 
Ein Produkt und eine Haltung
Man muss nicht Japanisch lernen und sich im Kimono gewanden, um Sake zu begreifen. Dazu genügen zunächst einmal die eigenen Sinnesorgane. „Man kann sich Sake durchaus auch über sensorische Erfahrungen nähern – also über Geschmack, Textur und Speisenbegleitung. Und gerade als Sommelier findet man viele spannende Parallelen zu Wein oder generell zu fermentierten Getränken“, weiß Cis. Doch ihm ist relativ rasch klar geworden, dass Sake mehr ist als ein Produkt. „Er ist Ausdruck einer Haltung. In Japan ist er eng mit Ritualen, Jahreszeiten, Spiritualität und Respekt vor der Natur verbunden. Wer sich also für die kulturellen Hintergründe interessiert – für das Warum hinter dem Wie – der wird Sake mit ganz anderen Augen – und einem geschärften Gaumen – erleben. Es lohnt sich, diesen Weg zu gehen.“
 
Sake ist auch als Speisenbegleiter ein sehr vielseitiges Getränk, das in Menüs „eine viel größere Rolle spielen kann, als man denkt“, sagt Cis. Er erklärt: „Sake harmoniert durch seine Umami-Betonung, geringe Säure und oft weiche Textur hervorragend mit Speisen – besonders dort, wo Wein strukturell an seine Grenzen stößt, etwa bei fermentierten, salzigen, mild-sauren oder pilzreichen Gerichten.“ Der Experte zeigt sich vom Sake-Einsatz auch in der alpinen Küche überzeugt. „Ob zu gereiftem Käse, zu geräuchertem Saibling oder zu Pilzgerichten – Sake kann, wenn klug gewählt, mit regionalen Aromen auf Augenhöhe kommunizieren.“ Zudem hat er auf Nachfrage ein überraschendes Pairing parat, das kulinarisch überzeugen kann: „Junmai Muroka Nama Genshu – unfiltriert, unpasteurisiert, unverdünnt – mit Kalbsrahmgulasch. Die Cremigkeit des Sakes nimmt die Sauce auf, der Umami-Schub umspielt das Fleisch, die Alkoholstruktur hält dagegen.“ Cis gerät ins Schwärmen: „Ein Pairing, das lange nachhallt.“
 
Sake ist übrigens in der Stilistik ähnlich variantenreich wie Wein. „Junmai, Honjozo, Ginjo, Daiginjo, trüber Nigori, gereifter Koshu, traditionell fermentierter Kimoto/Yamahai, Sparkling Sake“, zählt Cis auf. Vielseitig ist auch die Trinktemperatur. „Von etwa 5 °C bis 55 °C ist theoretisch alles möglich“, weiß Cis. Doch nicht alles, was theoretisch möglich ist, ist praktisch gut: „Die meisten Premium-Sake – insbesondere Daiginjo und Ginjo – werden tendenziell eher kühl serviert. So kommen die feinen, oft fruchtigen oder floralen Aromen am besten zur Geltung. Komplexere, körperreichere Stile wie Junmai, Kimoto oder Yamahai hingegen entfalten oft erst bei etwas höherer Temperatur ihre ganze Tiefe – manche sogar warm oder leicht erhitzt“, erklärt Cis. „Wer sich herantastet, sollte sich trauen, denselben Sake bei unterschiedlichen Temperaturen zu probieren – ähnlich wie beim Wein offenbart sich mit jedem Grad Celsius ein neuer Ausdruck.“
 
Großes Europa-Potenzial
In Europa steckt die Sake-Produktion noch in den Kinderschuhen, in Österreich gebe es zur Zeit noch keine vollwertige Brauerei, sehr wohl jedoch Kleinprojekte wie Wien-Sake oder Alpin Sake, weiß Cis. „In Europa ist vor allem Kanpai London, Wakaze Paris und Nihonshu Oslo zu nennen – deren Produkte werden auch in Österreich vereinzelt geführt“, ergänzt er. Die ihm bekannten Sakes aus europäischer Herstellung sieht er „technisch solide, oft blitzsauber, aber – noch – ohne die Tiefe japanischer Originale“. Dennoch sei europäischer Sake spannend, auch weil andere Reissorten, Wasserprofile und kulturelle Prägungen neue Stile zulassen würden. „Das Potential ist ohne Frage groß!“, ist Cis überzeugt. Für neugierige Genießer hat er auch ganz konkrete Probiertipps: „Einen Daiginjo wie ‚Dassai 23‘ oder ‚Juyondai‘ – um zu begreifen, wie fein und aromatisch Sake sein kann. Und einen gereiften Koshu, um die Bandbreite zu verstehen. Wer sich wagt, sollte einen Nama Sake frisch vom Import probieren – lebendig und rau wie Naturwein.“


Text: Marian Kröll
Fotos: Gannerhof, Martin Lugger

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