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Glückssache

4.7.2025

Katharina Bergant lebt seit einigen Jahren in Washington, D.C., der Hauptstadt der USA. Die junge Volkswirtin aus Telfs hat ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert, weil dort der Hauptsitz ihres Arbeitgebers liegt. Bergant arbeitet seit mittlerweile sechs Jahren beim Internationalen Währungsfonds (IWF bzw. IMF – International Monetary Fund). „Wer einen PhD in Volkswirtschaft – und speziell im Bereich Finanz-Makroökonomie – macht, hat drei Möglichkeiten: eine Professur, eine Organisation wie den IWF oder eine Zentralbank oder die Privatwirtschaft.“ Den Ausschlag für die Sonderorganisation der Vereinten Nationen hat schließlich der Umstand gegeben, dass die Tirolerin dort „Forschung betreiben kann wie an einer Universität“ und zugleich nahe an der politischen Praxis ist. „Wir betreiben Forschung an konkreten Themen, die für die Regierungen unserer 191 Mitgliedsstaaten Herausforderungen darstellen“, sagt Bergant. Sie erfährt aus erster Hand, welche volkswirtschaftlichen Fragen und Problemstellungen diese jeweils beschäftigen. Dabei greifen die Wissenschaftler*innen des IWF auf die Grundlagenforschung der akademischen Welt, allen voran von US-Top-Universitäten, zurück.

Katharina Bergant ist durch ihre Arbeit sehr gut über das Weltgeschehen informiert. Dazu trägt nicht zuletzt der Flurfunk im IWF bei. „Bei uns am Gang wird nur darüber geredet, was auf der Welt passiert.“ Und es passiert gerade sehr vieles gleichzeitig. Die Welt ist gegenwärtig so instabil wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, vieles ist im Fluss, der Ausgang wie immer ungewiss. Slowbalization – die Verlangsamung der Globalisierung – ist ebenso im Gange wie – vermutlich – eine Veränderung im internationalen Machtgleichgewicht, von einer unipolaren Welt mit einem Hegemon hin zu einer multipolaren Welt. Doch letztere ist keine wirtschafts-, sondern eine politikwissenschaftliche Frage. Jedenfalls ist Katharina Bergant nahe am Geschehen, liegt das IWF-Hauptgebäude doch nur einen Steinwurf vom Weißen Haus entfernt, wo dieser Tage wahrlich keine Langeweile aufkommt und wenig „business as usual“ herrscht.

Zielstrebig und mobil

Die Telferin darf in ihren jungen Jahren – gerade für Tiroler Verhältnisse – als weitgereist gelten. Ihr Studium hat sie an der Universität Innsbruck begonnen. Im Rahmen ihres PhD hat sie sich internationale Kapitalflüsse angesehen, erforscht, „wie Geld zwischen Ländern fließt und mit Zentralbank-Zinssätzen interagiert“. Derzeit arbeitet sie viel am Thema Banken- und Finanzmarktstabilität im Zusammenhang mit Geldpolitik. Für ihren Master und daran anschließend den PhD hat Bergant Tirol den Rücken gekehrt und ist nach Dublin gegangen. „Ich hatte das Angebot eines Professors, der mich sehr beeindruckt hat, für ein großzügiges Stipendium in Irland zu bleiben und dort meinen PhD zu machen.“ Dieser Professor war niemand anderes als der irische Ökonom Philip Lane, der zunächst irischer Zentralbankpräsident geworden ist. Heute ist Lane Direktoriumsmitglied und Chefökonom der Europäischen Zentralbank. Dort haben sich auch die Wege von Katharina Bergant und ihrem Doktorvater wieder gekreuzt. „Ich war für eineinhalb Jahre in Frankfurt bei der EZB, und in diesem Zeitraum ist Philipp Lane Chefökonom geworden“, sagt Bergant, die ihre Zeit dort als „spannend“ beschreibt. „Ich war damals in der Abteilung, die jene Länder betreut hat, die noch nicht in der Eurozone waren.“ Die Ökonomin kann in ihrem Lebenslauf auch eine Ivy-League-Station eintragen. „Das wichtige letzte Jahr meines PhD habe ich in Harvard absolviert, bin dabei viel herumgereist und hatte Vorstellungsgespräche bei vielen unterschiedlichen Institutionen.“ Geworden ist es dann der Internationale Währungsfonds.

The American way(s) of life

Die Tirolerin hat mittlerweile insgesamt fast ein Jahrzehnt ihres Lebens in den USA verbracht. Der erste Berührungspunkt war ein Schüleraustausch, den Bergant nach eigenem Bekunden „in the middle of nowhere“ in Indiana verbracht hat. „Das war damals amerikanisches Leben, wie man es sich in Europa wahrscheinlich vorstellt, mit High Schools, Cheerleadern und Footballspielern.“ Ein einziges großes Klischee. In der High School, die sie damals besuchte, liegen die Klassenzimmer quasi meilenweit auseinander, es gibt nur ein Stockwerk, Flächenverbrauch spielt – anders als in Tirol oder den amerikanischen Großstädten – überhaupt keine Rolle. „Es war eine spannende Zeit. Überhaupt nicht zu vergleichen mit meinen Sommerjobs in New York City oder dieser ganz besonderen Blase in Cambridge, Massachusetts, wo Harvard und das MIT sind.“

Katharina Bergant hat die USA von ganz unterschiedlichen Seiten kennengelernt. „Die USA sind ein ebenso großes wie vielschichtiges Land“, sagt sie. Geographisch, kulturell und auch sozioökonomisch. Es gibt mehrere Erzählungen, die zugleich richtig sein können. Den typischen Amerikaner gibt es nicht, der Avocado-Toast und Matcha Latte frühstückende Angehörige der Bi-Coastal-Elite ist ebenso ein Zerrbild wie der waffenfanatische, sektiererische Hillbilly. Nicht zu leugnen ist dagegen eine zunehmende Polarisierung und Politisierung der Öffentlichkeit, die ihren vorläufigen Kulminationspunkt in der zweiten Amtsperiode Donald Trumps gefunden hat.

Washington, D.C., Bergants gegenwärtiger Lebensmittelpunkt, ist durch die vielen verschiedenen internationalen Organisationen, die dort einen Sitz haben, ein ganz spezielles Pflaster. „Wenn man will, könnte man hier leben, ohne je einen Amerikaner zu treffen“, sagt sie zur Illustration. Katharina Bergant findet Washington toll, weil es internationales Flair hat und weil neben IMF und Weltbank auch die Fed – die US-Zentralbank – ihren Sitz dort hat. Es gibt dort besonders viele Akademiker*innen. Katharina Bergant arbeitet konsequent an ihrem Netzwerk und knüpft Kontakte zu allem, was in der Universitäts- und Institutionenlandschaft Rang und Namen hat. „Durch meine Arbeit und meinen Wohnort tun sich gute Chancen auf, mit den Professoren der Top-Unis im Land in Verbindung zu bleiben und von ihnen zu lernen“, sagt die Tirolerin. Sie schätzt das Leben in D.C. „Die Stadt ist schön, nicht so unübersichtlich wie New York und das Wetter ist auch fast immer schön. Außerdem gibt es unzählige Museen.“ Der Eintritt ist gratis, und sie hat noch längst nicht alle davon gesehen.

Glück auf ganzer Linie

In den USA hat Katharina Bergant aber nicht nur ihr berufliches Glück gefunden, sondern auch ihr privates. „Junge Familien ziehen normalerweise in die Suburbs, aber wir wohnen mit unserem Baby noch direkt in der Stadt und können die meisten Wege zu Fuß machen“, sagt die Jungmutter. Ihr Mann ist Österreicher und von Berufs wegen Jurist mit Harvard-Abschluss, der in New York als Anwalt zugelassen ist und ebenfalls beim IWF arbeitet. Kennengelernt haben sich die beiden in Frankfurt bei der EZB. Eine Rückkehr in die Heimat, oder zumindest nach Europa, ist für Katharina Bergant einstweilen nicht absehbar. „Wir haben beide Jobs, die uns extrem erfüllen und wo wir jeden Tag viel lernen. An dem Tag, an dem wir nichts dazugelernt haben, überlegen wir es uns, irgendwo anders hinzugehen“, sagt Katharina Bergant, die wie ihr Lebensgefährte immer wieder Jobangebote aus Europa bekommt. Die Wissenschaftlerin hält immer wieder Vorträge an Universitäten und könnte sich prinzipiell auch eine universitäre Karriere vorstellen. „Es macht mir Freude, junge Menschen zu unterrichten und man hat auch einen gewissen Impact, wenn man diesen Menschen Wissen vermittelt und sie ein Stück weit prägen kann.“

Land der Möglichkeiten

Die USA gelten gemeinhin als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Das ist freilich eine Übertreibung, so wie die Geschichte mit dem American Exceptionalism.  Katharina Bergant findet dennoch: „Es gibt hier einfach mehr Möglichkeiten.“ Ihr sei mittlerweile bewusst geworden, dass „im Leben 99,9 Prozent vom Glück“ abhänge. „Es war Glück, dass ich in Tirol zur Welt gekommen bin und mich meine Eltern bei meiner Ausbildung unendlich unterstützt haben. Das hat mir die Chancen eröffnet, die jemand anderem, der in einem Entwicklungsland zur Welt kommt, wahrscheinlich verwehrt bleiben.“ Die Wissenschaftlerin hat das Glück am Schopf gepackt und mit harter Arbeit in eine beachtliche Karriere umgemünzt, deren Ende noch längst nicht absehbar ist. „Ich war sechs, sieben, acht Jahre jünger als die Leute, mit denen ich im Job-Market um Jobs gekämpft habe. Es gab Jobs, die damals für mich noch nicht in Reichweite waren, aber ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die Möglichkeiten fast unbegrenzt sind und kein Ziel unerreichbar ist.“

Katharina Bergant ist heute 33, die Welt steht ihr und ihrer jungen Familie offen. Zielstrebig ist sie immer schon gewesen, das Lernen fiel ihr leicht. „Gescheit und zielstrebig sind viele, aber es braucht auch die Möglichkeiten, daraus etwas machen zu können.“ Sie meint damit die strukturellen Voraussetzungen, die im Westen nun einmal besser sind als im globalen Süden. Lebenschancen sind – anders als Talente – nun einmal nicht gleich verteilt. Das ist ungerecht. Das richtige Timing spielt auch eine Rolle. „Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die Möglichkeiten ergreifen, die sich einem bieten.“ Das tut die Ökonomin, unabhängig davon, an welchem Ort sich diese auch auftun mögen. „Ich bin in den acht Jahren meiner universitären Ausbildung zwischen Bachelor und PhD vierzehn Mal umgezogen.“ Das beweist eine Mobilität, von der die meisten Europäer nur träumen können. Damit passt Katharina Bergant wohl auch von ihrer Mentalität her gut zu den Vereinigten Staaten. Die Lehre daraus könnte sein, dass es zielführender ist, seinen Träumen nachzugehen, anstatt passiv zu bleiben und bloß zu warten, bis sie sich ereignen. Die Tiroler Wissenschaftlerin und Jungmama schätzt den American Way of Life bzw. die dortigen Ways of Life. Im Gespräch merkt man, dass sie schon seit einigen Jahren dort lebt. Stakkatoartig mischen sich, wie Platzhalter, immer wieder englische Einsprengsel ins Gespräch. Besonders die Formulierung „I don’t know“, im Sinne von „was weiß ich“. Katharina Bergant weiß viel und hat schon mehr von der Welt gesehen als die meisten anderen Menschen in ihrem Alter. Sie arbeitet täglich an ihren Kompetenzen.

Heimat bleibt Heimat

Tirol spielt nach wie vor eine Rolle in ihrem Leben. Heimat bleibt Heimat. Vor ihrer Schwangerschaft war sie dreimal pro Jahr zu Hause in Telfs, und erst kürzlich hat sie mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn ganze sechs Monate am Stück dort verbracht. Elternzeit, die sie genießen konnte. „Ich bin wieder in mein Kinderzimmer gezogen, mit meinem Mann und unserem Baby. So hatten auch meine Eltern die Chance, ihren Enkel richtig kennenzulernen. Es war eine sehr schöne Zeit.“

Seit einigen Monaten ist ihr Sohn in der Kindertagesstätte des IMF. „Er hat dort den Spaß seines Lebens. Wenn ich ihn abhole, tut er so, als ob er mich nicht sehen würde“, scherzt Bergant. Billig ist eine Kindertagesstätte in den USA nicht. Dasselbe gilt für die Medizin. Dort gibt es mitunter ganz andere gesellschaftliche Vorstellungen, insbesondere vom Sozialstaat. Katharina Bergant ist dennoch dankbar für die Möglichkeit, Karriere und Kind unter einen Hut bringen zu können und in der US-Hauptstadt das tun zu können, wofür sie brennt.


Text: Marian Kröll
Fotos: EZB

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