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Zukunft

Zum Wohl der Patienten

28.10.2025

Der Innsbrucker Infektiologe Günter Weiss beschreibt die Herausforderungen, die durch antimikrobielle Resistenz (AMR) entstehen, und mahnt zum Wohl der Patient*innen und des Gesundheitssystems einen verant-wortungsvolleren Umgang mit Antibiotika an. Um die Innovationslücke bei den Antibiotika zu schließen und Europas Versorgungssicherheit sicherzustellen, wird es auch Geld brauchen.

eco.nova: Was ist antimikrobielle Resistenz?

Günter Weiss: Antimikrobielle Resistenz bedeutet, dass bestimmte Krankheitserreger im Laufe der Zeit nicht mehr auf bestimmte Antibiotika ansprechen. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Bakterien vermehren sich ständig, und dabei treten zufällige genetische Veränderungen (Mutationen) auf. Manche dieser Mutationen können dazu führen, dass ein Bakterium gegen ein Antibiotikum unempfindlich wird. Darüber hinaus können Bakterien Resistenzgene auch voneinander übernehmen. Dieser sogenannte horizontale Gentransfer erfolgt über Plasmide, Transposons oder gelegentlich Bakteriophagen. Das sind Viren, die Bakterien infizieren. Auf diese Weise können auch ursprünglich empfindliche Bakterien resistent gegenüber Antibiotika werden.

Warum ist das so problematisch?

Antibiotika gehören zu den wirksamsten medizinischen Waffen, die je erfunden wurden. Sie haben viele Millionen Menschenleben gerettet. Fast jeder Erwachsene hat irgendwann ein Antibiotikum gebraucht – sei es bei einer leichten oder schweren Infektion. Früher sind viele Menschen an einer einfachen Lungenentzündung gestorben, heute kommt das zum Glück viel seltener vor. Aber: Je häufiger wir Antibiotika einsetzen, desto stärker geraten Bakterien unter Druck, Resistenzen zu entwickeln. Dieses Risiko nimmt zu, wenn Antibiotika über einen längeren Zeitraum oder in zu geringen Dosierungen eingesetzt werden oder über die Landwirtschaft in die Nahrungskette gelangen.

Wo sind diese resistenten Erreger anzutreffen?

Diese Erreger kann es überall geben. In der Umwelt, am Patienten, aber auch in der Nahrungskette. In Regionen, wo Antibiotika „Over the Counter“ erhältlich sind, gibt es sehr viele Resistenzen. Ist dort jemand krank, wird häufig einfach ein Antibiotikum – nicht selten ein Breitbandantibiotikum – gekauft und verabreicht.

Eine bessere Verabreichungspraxis würde also den Selektionsdruck senken. Was kann man sonst tun, um gegen resistente Keime anzukämpfen?

Ja. Das Wichtigste ist der zielgerichtete Einsatz von Antibiotika. Ein solches sollte nur bei bakteriellen Infektionen angewendet werden, und dann möglichst spezifisch. Je schmäler das Antibiotikum, desto geringer ist der Selektionsdruck auf Bakterien. Ein Breitbandantibiotikum, das möglichst viele unterschiedliche Keime umfasst, macht die Entstehung bzw. Selektion von Resistenzen sehr viel wahrscheinlicher. Zweitens müssen Antibiotika richtig dosiert werden. Die Patient*innen müssen vor allem im niedergelassenen Bereich gut instruiert werden, wie Antibiotika richtig einzunehmen sind. Drittens sollten unnötig lange Antibiotikatherapien vermieden werden. Solche Therapien müssen zudem rechtzeitig beendet werden, wenn Befunde eintreffen, die gegen eine bakterielle Infektion sprechen, oder die Patient*innen geheilt sind. Allgemein gilt: Antibiotika sind so spezifisch wie möglich, in ausreichender Konzentration und so kurz wie möglich zu verabreichen.

Was lässt sich prophylaktisch gegen die Ausbreitung resistenter Keime machen?

Im Krankenhausalltag spielt die Händehygiene eine ganz wesentliche Rolle. Viele resistente Erreger werden über die Hände übertragen. Bei Personen, die sich in Regionen aufgehalten haben (auch im Rahmen eines rezenten Urlaubs), in denen es viele resistente Erreger gibt, ist bei Aufnahme in einem hiesigen Krankenhaus ein Screening auf resistente Erreger sinnvoll. Ist ein solcher Erreger nämlich erst einmal ins Krankenhaus eingetragen, bekommt man ihn kaum mehr weg.

Sind AMR im klinischen Alltag noch ein eher theoretisches Thema oder gibt es in der Praxis bereits einen Leidensdruck?

Resistenzen sind präsent, multiresistente Erreger spielen im Krankenhaus zunehmend eine Rolle. Die Medizin entwickelt sich ständig weiter, sei es in der Transplantationsmedizin oder Onkologie. Wir behandeln heute vermehrt ältere Menschen, auch auf den Intensivstationen. Sie haben ein schwächeres Immunsystem und sind für Infektionen anfälliger, brauchen häufiger Antibiotika. Je länger ein Krankenhausaufenthalt dauert und je häufiger jemand mit Antibiotika behandelt werden muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für die Bildung multiresistenter Erreger. In Österreich ist das Risiko glücklicherweise noch überschaubar, in manchen Bereichen haben wir aber schon zu kämpfen: bei Harnwegsinfekten, Infektionen im Blut (Sepsis) und Lungenentzündungen.

Stellen AMR schon heute eine Belastung für die Ressourcen der Krankenhäuser dar?

Multiresistente Erreger sind per se nicht pathogener oder gefährlicher. Aber sie werden oft später erkannt und die richtige Therapie beginnt damit verspätet. Dadurch ist der Outcome oft schlechter. Die Therapieoptionen bei multiresistenten Erregern (MRE) sind mitunter limitiert. Es gibt dann beispielsweise keine Therapeutika mehr, die oral eingenommen werden können, sondern nur noch intravenös. Das ist ein Problem. Diese Reserveantibiotika sind außerdem mitunter kostenintensiver. Es braucht entsprechendes Know-how, um bei MRE richtig therapieren zu können, und eine gute Kooperation mit den mikrobiologischen Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, die Erreger zu identifizieren.

Was bedeutet es für die moderne Medizin, wenn es durch Resistenzen immer weniger wirksame Antibiotika gibt?

Ein führendes medizinisches Journal hat vor Jahren einmal die zunehmende antibiotische Resistenz als „medizinische Version des Treibhauseffekts“ bezeichnet. Je mehr wir mit Resistenzen zu tun haben, desto weniger gelingt es, bakterielle Infektionen einfach zu behandeln. Es braucht dann öfter einen Rückgriff auf Reserveantibiotika, Patient*innen müssen öfter stationär und länger aufgenommen werden. Alternativ dazu braucht es neue, innovative Verfahren, die es Patient*innen ermöglichen, auch zu Hause mit einer intravenösen Therapie behandelt zu werden. Genau damit beschäftigt sich Dr. Eva Littringer in ihrem Unternehmen. MRE üben Druck auf die Krankenhausinfrastruktur aus, weil die Patient*innen mit multiresistenten Erregern isoliert werden müssen. Das kann zu Kapazitätsengpässen führen. Patient*innen, die in Einzelzimmern isoliert sind, sind immer schlechter versorgt als Patient*innen in Mehrbettzimmern, weil die Isolation immer auch eine Barriere darstellt. Wir haben immer wieder mit Patient*innen zu tun, die gegen alle möglichen Antibiotika resistent gewesen sind. Die Keime stammen häufig aus dem Ausland, die Krankenhausaufenthalte dauern in solchen Fällen mehrere Wochen.

Inwiefern ist die ambulante intravenöse Therapie von Patient*innen angesichts der Situation im Gesundheitswesen erwünscht?

Auch bei uns sind Betten aufgrund der bekannt schwierigen allgemeinen Pflegesituation gesperrt. Zudem steht die kalte Jahreszeit vor der Tür, in der wir ohnehin an die Kapazitätsgrenzen kommen und nicht immer alle Patient*innen stationär aufnehmen können. Bei Infektionen, die eine lange Behandlungsdauer brauchen, wäre es natürlich wünschenswert, das teilweise auch ambulant machen zu können. Es ist ein Problem, dass manche Antibiotika dreimal täglich verabreicht werden müssen. Eine kontinuierliche intravenöse ambulante Therapiemöglichkeit wäre da tatsächlich sehr hilfreich. Das würde die Lebensqualität der Patient*innen heben und Bettenkapazitäten schonen. Das wäre für Patient*innen mit gewöhnlichen, aber auch multiresistenten Erregern vorteilhaft, die über Wochen hindurch behandelt werden müssen. Das wäre eine Win-win-Situation.

Würde die ambulante intravenöse Verabreichung auch dazu beitragen, die Bildung von MRE hintanzuhalten?

Natürlich. Ist ein Antibiotikum optimal dosiert, kommt es seltener zur Resistenzselektion. Dazu gibt es sehr gute Daten. Eine solche ambulante Therapie ist für die Krankenanstaltenträger im Moment nicht sonderlich attraktiv, weil ambulante Therapien nicht kostendeckend abgegolten werden. Unterm Strich ist es für das Gesundheitswesen aber viel billiger, wenn Patient*innen ambulant versorgt werden können und kein Krankenhausbett belegen. Da ist das ökonomische Denken leider noch ein wenig in den Kinderschuhen stecken geblieben. Das muss sich ändern.  

Gibt es alternative Behandlungsmöglichkeiten, wenn Antibiotika aufgrund multiresistenter Erreger wirkungslos bleiben?

Es wird versucht, Antibiotika höher zu dosieren oder Kombinationen einzusetzen. Das ist knifflig und es ist bald das Ende der Fahnenstange erreicht. Das kommt aber nur ganz selten vor. Patient*innen sind zunehmend ausgemergelt, wenn sie an einer langwierigen Infektion leiden. Funktioniert das Immunsystem nicht, ist auch die Wirksamkeit der Antibiotika limitiert. Es braucht ein fittes Immunsystem und die entsprechenden Antibiotika, um eine Infektion effektiv behandeln zu können. An einer ambulant erworbenen Pneumonie sterben selbst bei optimaler antibiotischer Therapie zehn Prozent der Patient*innen. Früher waren es 80 Prozent. Wir müssen mit Antibiotika sehr verantwortungsvoll umgehen. Verantwortungsvoller als heute. Es ist ein Zeit- und Systemproblem, wenn Patient*innen, die mit einem respiratorischen Infekt, der meistens viral bedingt ist, eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen und dann häufig trotzdem Antibiotika verabreicht bekommen. Es muss gezielter therapiert und mit einfachen Maßnahmen zwischen viralen und bakteriellen Infektionen unterschieden werden.

Im Krankenhausbereich gibt es bereits ein Bewusstsein für die zahlreichen Komplikationen, die durch MRE verursacht werden. Ist das im niedergelassenen Bereich auch der Fall?

Das Verständnis steigt. Man weiß aber auch, dass im niedergelassenen Bereich der Großteil der antibiotischen Verschreibungen auf die Behandlung von respiratorischen Infektionen zurückzuführen ist. Mehr als 70 Prozent dieser Infektionen sind aber nachweislich viraler Genese. Das heißt im Umkehrschluss: Mehr als zwei Drittel der Antibiotikaverschreibungen sind nicht indiziert. Da gibt es noch viel Aufholbedarf.

In der Pandemie hat die Politik getönt, wie wichtig die Unabhängigkeit Europas in der Medikamentenproduktion sei. Sind den Sonntagsreden bereits Taten gefolgt?

Diese Diskussion gab es schon vor der Pandemie. Sie betrifft nicht nur Antibiotika, sondern auch andere Medikamente, etwa gegen Bluthochdruck. Der Großteil der Medikamentenproduktion wurde ausgelagert, vor allem nach Indien und China. Ich sehe es für die Autarkie Europas als gravierendes Problem an, dass wir nicht mehr in der Lage sind, notwendige Medikamente in ausreichender Menge selbst herzustellen. In Tirol gibt es mit Sandoz den größten Antibiotikaproduzenten in Europa. Dennoch haben wir in den letzten Jahren mehrfach Versorgungsengpässe bei ganz gewöhnlichen, oral einzunehmenden Antibiotika gesehen. Man muss sich bewusst sein, dass Europa bei der Medikamentenversorgung unabhängiger werden muss. Das wird etwas kosten. Ist man beispielsweise aufgrund geopolitischer Verwerfungen plötzlich von der Versorgung mit diesen Medikamenten abgeschnitten, wird das ein großes Problem. Wir bekommen jede Woche von unserer Anstaltsapotheke eine Liste mit Medikamenten, die momentan nicht lieferbar sind. Diese Liste wird immer länger.

Kann man sich aus der AMR-Problematik herausforschen und -entwickeln?

In der Forschung und Entwicklung von Antibiotika und Antiinfektiva gibt es generell ein Problem. Die WHO hat nach erfolgreicher Ausrottung der Pocken Ende der 1970er-Jahre sehr optimistisch verkündet, dass im Jahr 2000 Infektionskrankheiten global kein Problem mehr darstellen würden. Daraufhin sind viele Unternehmen aus der Forschung und Entwicklung ausgestiegen. Heute wissen wir, dass diese Einschätzungen keineswegs richtig waren und zwischen 1980 und 2000 zu einer Innovationslücke geführt haben. Die wichtigsten antibiotischen Substanzen, die wir heute haben, sind bereits in den 1940er- bis 1960er-Jahren entwickelt worden. Das Geld, das für Infektionsforschung ausgegeben wird, ist bis heute limitiert. Es wird vermehrt an Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen geforscht. Das will ich nicht schmälern, aber ein Drittel aller Menschen sterben bis heute an den Folgen von Infektionskrankheiten. Hier braucht es dringend mehr Fördermittel zur Erforschung von neuen antiinfektiven Therapien. Wir brauchen zukünftig auch ein besseres Verständnis dafür, wo es Reservoirs für MRE gibt. Dafür benötigt es eine engere Kooperation mit der Veterinär- und Umweltmedizin. Dann kann man auch verstärkt präventiv tätig werden.

Es braucht also eine Vernetzung aller Bereiche, in denen Antibiotika eingesetzt werden?

Ja. Ich bin überdies der Meinung, dass Antibiotika generell mit mehr Umsicht und gezielter eingesetzt werden müssen.

Interview: Marian Kröll

Fotos: Florian Lechner

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